Forum C: C wie Colonialism„Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht in Hamburg?“ Der Vorschlag,
das Thema Kolonialismus
in den Mittelpunkt des nächsten
Kongresses zu stellen, hat auf dem
BUKO 27 in Kassel viel Zustimmung
gefunden. Es ist ein Thema,
das – zumindest in seiner deutschen
Variante – auch in der internationalistischen
Linken bisher wenig
Beachtung gefunden hat.
Vor hundert Jahren begannen die großen Aufstände gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia (Herero- und Nama-Krieg ab 1904) und Tansania (Maji-Maji-Krieg ab 1905). Das sind Anlässe, sich endlich mit Deutschlands „kolonialem Erbe“, aber auch mit den europäischen kolonialen Hinterlassenschaften, auseinander zu setzen. Der Kongressort Hamburg als „Tor zurWelt“ und Kolonialmetropole des deutschen Kaiserreichs eignet sich dazu besonders gut. In Kassel gab es aber auch Widerspruch: Der BUKO sei kein Geschichtsseminar, und das Thema Kolonialismus biete zu wenig Anknüpfungspunkte an die eigene politische Praxis. Auf demBUKO28 soll es nun trotzdem um Geschichte gehen, aber immer in Beziehung zu Gegenwart und Praxis.Worin liegt die Aktualität des Themas Kolonialismus? Diese Frage wird uns durch eine Reihe von Arbeitsgruppen, durch eine Ausstellung und durch zwei Buchpremieren begleiten. Zwei AutorInnen stellen das neu erschienene Buch „Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907“ vor. 1905 hatten sich die Kolonisierten gegen die deutschen Besatzer erhoben. Die AutorInnen beleuchten die Ursachen und die gesellschaftlichen Bedingungen des Widerstands, den Verlauf und die langfristigen Folgen des Krieges. Mit ihnen wollen wir diskutieren, warum es heute, hundert Jahre später, bedeutsam ist, sich mit dem deutschen Kolonialismus auseinander zu setzen.Welche Diskurse und welche politischen Interessen prägen heute die Erinnerung an die koloniale Vergangenheit – in Tansania und in Deutschland? Warum werden in Hamburg heute die Denkmäler so genannter „Kolonialhelden“ wieder errichtet, während das Gedenken an die zivilen Opfer der Kolonialherrschaft keinen Platz findet? Umverdrängte Erinnerung geht es auch in dem vom Rheinischen JournalistInnenbüro herausgegebenen Buch „Unsere Opfer zählen nicht – Die DritteWelt im Zweiten Weltkrieg“, das auf dem BUKO 28 in einer öffentlichen Podiumsveranstaltung vorgestellt wird. In den zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erlangten die meisten Staaten Afrikas, Asiens und der Karibik die formale Unabhängigkeit. Doch ist mit dem Ende der Kolonien auch der Kolonialismus verschwunden? Oder begegnet uns der alte Kolonialismus heute in neuen Gewändern? Der Frage, ob der Begriff Kolonialismus noch zur Analyse heutiger Zustände taugt, wenden sich unsere Arbeitsgruppen auf unterschiedliche Weise zu. Finden koloniale Herrschaftsverhältnisse der Vergangenheit heute ihre Fortsetzung in den europäischen Metropolen? Auf der Anticolonial Africa Conference in Berlin bezeichneten VertreterInnen afrikanischer Selbstorganisationen das deutsche System der Lagerunterbringung von Flüchtlingen und der durch die „Residenzpflicht“ eingeschränkten Bewegungsfreiheit als „kolonialistisch“ und sogar als „faschistisch“. Das hat einigen ZuhörerInnen Unbehagen bereitet. Sind Vergleiche zwischen Kolonialismus, Faschismus und heutiger „Zuwanderungspolitik“ Ausdruck einer wenig reflektierten Kampfrhetorik, oder steckt doch mehr dahinter? Einen anderen, theoretischen Zugang zur Frage nach den Kontinuitäten und Brüchen bieten die Postcolonial Studies. Dieser in den letzten Jahren im angelsächsischen Sprachraum entstandene Forschungsansatz setzt sich mit den Spuren des Kolonialismus auseinander – allerdings weniger mit den physischen in Form von Denkmälern und Straßennamen, als mit den „Spuren des Kolonialismus im Werden und Machen vonWelt, Menschen und Dingen“. (1) „Postkolonialismus“ impliziert hier, dass es zwar eine Befreiung von kolonialer Herrschaft gab, dass aber eine kulturelle, psychische und soziale Kolonialisierung in der Gegenwart weiterwirkt. Besonders deutlich werde dies im Verhältnis der (deutschen) Mehrheitsgesellschaft zu den MigrantInnen, die durch ungleiche Rechtstellung, aber auch durch rassistische Zuschreibungen in der Sprache fortwährend in eine „subalterne“ Position gedrückt werden. Eine Arbeitsgruppe wird sich mit der Frage beschäftigen, welche Bedeutung die Postcolonial Studies, die noch sehr dem universitären Milieu verhaftet sind, für eine Weiterentwicklung antirassistischer Politik spielen können. Neben der Bezeichnung „Postkolonialismus“ erfreut sich auch der Begriff „neuer Kolonialismus“ seit einigen Jahren einer wachsenden Popularität. So fordern beispielsweise deutsche PolitologInnen einen „neuen Kolonialismus“ für Afrika, weil „die Afrikaner“ sich nicht aus eigenen Stücken aus dem Kreislauf von Bürgerkriegen, Staatszerfall und Hungerkatastrophen lösen könnten. Nicht selten mündet diese Sichtweise in die Forderung, die EU – und gerade auch Deutschland – solle eine größere Bereitschaft zeigen, sich an militärischen Interventionen auf dem afrikanischen Kontinent zu beteiligen. Hieß es noch vor einigen Jahren, Deutschland sei „relativ unbelastet“ von einer kolonialen Vergangenheit und gerade deshalb zu einem „größeren Engagement“ in Afrika berufen, ist es heute die „besondere Schuld“, die Deutschland mit dem Völkermord an den Herero auf sich geladen habe, die zu mehr Engagement verpflichte. Vor dem Hintergrund der kolonialen Vergangenheit wollen wir daher die aktuelle europäische und deutsche Afrikapolitik genauer unter die Lupe nehmen. Viele GlobalisierungskritikerInnen wie etwa Martin Khor vom Third World Network in Malaysia, sagen: „Globalisierung ist, was wir in der DrittenWelt einige Jahrhunderte Kolonisierung genannt haben“. So einfach wollen wir es uns nicht machen – es hat sich schließlich einiges geändert. Aber was? Vielleicht sind wir nach dem BUKO 28 klüger. Anmerkung:
1) Encarnación Gutierrez Rodríguez in „Spricht die Subalterne deutsch?“, Unrast-Verlag, Münster 2003, S. 18 |