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Forum B: B wie Biopolitik

oder: Wenn Leben zur Ressource wird

Biopolitik ist ein Sammelbegriff für alle Formen, in denen auf menschliches, tierisches und pflanzliches Leben gesellschaftlich zugegriffen wird – und damit auch eine Überschrift für die immer exzessiver werdende ideologische wie ökonomische An- und Enteignung von Wissen, Ressourcen, Genen, Körpersubstanzen oder Lebensstilen: Die Fülle der biopolitischen Landnahmen ist immens. Das Forum Biopolitik hat aus dieser Fülle zwei Schwerpunkte (s.u.) gewählt, zwischen denen es vielfältige Verbindungen und Überschneidungen gibt und geben soll. Welche Formen von Widerstand wir der umfassenden Produktivmachung von Leben entgegensetzen können und wollen – diese Frage ist die gemeinsame Klammer aller Veranstaltungen im Forum.

Gentechnologie, Landwirtschaft, Ernährung

Konflikte um Naturressourcen sind nichts Neues. Öl, Holz oder Erze werden seit Jahrhunderten extrahiert oder gefördert, geraubt oder gekauft, dann auf den Weltmärkten gehandelt werden. Auch landwirtschaftliche Produkte wie Kaffee oder Bananen werden für denWeltmarkt produziert, völlig unabhängig von den Bedürfnissen der vor Ort lebenden Menschen. Im Kapitalismus wird Natur“ im Sinne konkreter Menschen und Arbeitskraft, aber auch als externe, materielle Ressource ausgebeutet. Eine extensive Zerstörung von Menschen, Gesellschaften und Natur war und ist die Folge.

Neu ist jedoch die Qualität, die seit etwa 20 Jahren mit der Aneignung von außermenschlicher Natur verbunden ist. Ermöglicht durch Gen- und Biotechnologie und gestützt auf die Informationstechnologien werden „Ressourcen“ wichtig, die vormals nicht „inWert“ gesetzt werden konnten. Unternehmen und Forschungsinstitute treiben diese Technologien aus ökonomischen Interessen voran. Politisch werden diese Prozesse über Gesetze abgesichert, die meist die Interessen der Stärkeren bevorzugen. Hinter dem neutral klingenden Begriff der „Wissensgesellschaft“ verbergen sich also massive Konflikte. Einen weiteren Schritt stellt die noch kaum diskutierte Nano-Technologie dar, die derzeit entwickelt und in den kommenden Jahren immer mehr gesellschaftliche Bereiche betreffen wird.

Alles kann Wert haben und zur Ware werden, von Stücken des eigenen oder fremden Körpers bis zur Leiche, unentdeckten pflanzlichen Inhaltsstoffen bis zum Wissen um ihren Standort und ihre Wirkungsweise. Wenn es dem „Fortschritt“ und der „Wettbewerbsfähigkeit“ dient, dann scheint alles erlaubt. Ethische und Machtfragen sind dem nachgelagert. Natur, lokale Gemeinschaften und indigenes oder traditionellesWissen werden als Quelle und ProduzentInnen von Wert gesehen und nicht als Menschen, Pflanzen oder Tiere in ihren kontextabhängigen Wechselbeziehungen.

Lässt sich bereits von einer Kolonialisierung der Innenräume von Lebewesen durch Gen- und Biotechnologie mit Hilfe des westlichen Systems geistiger Eigentumsrechte (z.B. Patente, aber auch Sortenschutz) sprechen, wie es etwa Vandana Shiva oder auch die BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie tun? Oder eröffnen die neuen Technologien Möglichkeiten, um die enormen Probleme der Gegenwart anzugehen? Taugt der Begriff der Biopiraterie, um sich kritisch auf die dominanten Entwicklungen zu beziehen? Gibt es Verbindungen und Überschneidungen der Kämpfe gegen Patente auf Leben, gegen Patente auf Software und für informationelle Selbstbestimmung, die – produktiv zusammen gedacht – das herrschende Paradigma in Frage stellen können?

Gesundheit – zwischen Markt, Ideologie und Kampf um soziale Rechte

Gesundheit“ ist mehr als ein individueller Wunsch, den fast alle hegen, und ein definierbares Ideal, das in einem Arzt-PatientInnen-Verhältnis hergestellt werden soll. Wir haben es inzwischen mit einer Gesundheitsindustrie zu tun, die international und wachstumsorientiert ist. Ein kaum überschaubarer medizinischer Komplex aus Pharmaindustrie, privaten Dienstleistern, staatlich sanktionierten Institutionen wie Krankenkassen und Forschungseinrichtungen ist entstanden. Laufend werden Innovationen, Waren, Mythen, Ideologien und (Bio-)Technologien produziert, die gleichzeitig Sozialwerkzeuge sind: Mit Hilfe molekulargenetischer und medizinischer Diagnosen lassen sich Urteile über Existenzberechtigungen von unheilbar Kranken oder über Fortpflanzungsberechtigungen von „genetisch Riskanten“ fällen und Versicherungsleistungen wie Arbeitsplätze zuteilen oder verweigern.

Zeitgleich werden Heilungsmythen und marktgerechte Vorstellungen einer auf Gesundheit, Fit- undWellness zielenden Lebensführung mobilisiert, um Bedürfnisse nach neuen Dienstleistungen und Produkten zu erzeugen. Es dominiert die Ideologie einer individuell herstellbaren Gesundheit, sei es über disziplinierte Lebensstile, über Prävention oder über biomedizinische Intervention. Über Organtransplantationen und Reproduktionsdienstleitungen werden sogar Körpersubstanzen in die Warenproduktion und in die kapitalistische Eigentumsordnung integriert und kursieren weltweit – wie, oder genauer gesagt: als Kapital.

Gleichzeitig sollen insbesondere die „genetisch Riskanten“ und die „noch Gesunden“ zunehmend privat vorsorgen und konsumieren.Wenn es aber um Pflegebedürftige, um wenig kaufkräftige Arme hierzulande, in Osteuropa oder im globalen Süden geht, dann sind Kostendämpfung und Rationierung die Mittel der Wahl. Multinationale Konzerne und internationale Agenturen forschen, entwickeln und profitieren. Biotechnologische Forschung wird zum Standortfaktor auf demWeltmarkt – ohne Rücksicht auf gesundheitliche Versorgungsprobleme verarmter Bevölkerungen oder Bevölkerungsgruppen.

Welche Machtwirkungen haben Gesundheitsideale? Welche Formen des Ausschlusses von Gesundheitsversorgung sind weltweit an der Tagesordnung? Nach welchen Regeln zirkulieren Körperstoffe und -substanzen auf dem globalisierten Markt? Welche Rolle spielen Forschungspolitiken und -programme? Gehört der Kampf um gute Lebensbedingungen allein in den Verantwortungsbereich der Medizin?Welche Kämpfe mit welchen Zielen fanden und finden um die Gesundheitsversorgung und gegen normativeVorstellungen von Gesundheit statt? Gibt es ein soziales oder individuell einklagbares „Recht auf Gesundheit“? Gibt es nicht auch ein „Recht auf Kranksein“? Vorbereitungsgruppe Forum Biopolitik

Vorbereitungsgruppe Forum Biopolitik