Beyond Paradise - Stationen des touristischen BlicksFoto-Collagen-Ausstellung
Die Foto-Collagen-Ausstellung von FernWeh – Forum Tourismus & Kritik visualisiert das „Making of Paradise“ - die Herstellungsbedingungen der touristischen Parallel- und Paradieswelten.
Die BesucherInnen werden zu einer imaginären Reise eingeladen, beginnend mit Impressionen aus der Reisewerbung über den Blick auf klassische und post-koloniale Dienstleistungssituationen. Bis schließlich die multikulturelle Bilderflut den Bogen zurück schlägt: denn je nach Perspektive ist „nach der Reise“ auch wieder „vor der Reise“. Vor der Reise – Traumbilder im Fokus
Ob in Bahnhöfen, in den Schaufensterauslagen, auf den Titelseiten der Reisemagazine oder im Kino: Allerorten wecken Bilder von schönen Landschaften, exotischen Kulissen und »fremden« Menschen Träume und Fantasien von Genuss und Abwechslung. Die mit dem Reisen verbundenen Fantasien und paradiesischen Bilder bedienen das Bedürfnis nach authentischem Erleben und einmaliger Erfahrungen als Kontrast zum Alltag. Um auf einem globalen touristischen Markt die Aufmerksamkeit der Reisenden zu gewinnen, spielt die Vermarktung fremder Kultursymbolik für die Inszenierung von Ferienkulissen eine gewichtige Rolle. Mit dem Begriff von der ‘landestypischen’ Kultur wird nicht nur das Originelle hervorgehoben, sondern zugleich unkopierbare Einzigartigkeit beschworen: »Im Reich der Mitte« den »Zauber Chinas selber erleben« (Wikinger Reisen) verweist auf Unverwechselbares. Ebenso unmissverständlich stehen »Schlangenbeschwörer und Asketen« als Synonym für den Süden Indiens. Mittels symbolischer Etikettierungen wie dem »Land des Lächelns« oder dem »Dach der Welt« werden Länder in Kategorien eingeteilt. Reiseführer plakatieren ihre Buchcover noch heute mit »typischen« Gesichtern, folkloristischer Verkleidung oder exotischer Bemalung, die allesamt an ethnographische Darstellungen erinnern. Sie alle stehen symbolhaft für die verschiedenen Urlaubsversprechen. Diese konstruierten Bilder spiegeln insbesondere auch die Erwartungen an die Reise wieder und sagen oft mehr über die Motive und Wünsche der Reisenden aus, als über den Charakter der Fremde(n). Wer verreist, hat bereits eine zumindest vage Idee über das Land und die Kultur des Reiselandes. Kontinentale Kategorien wie »afrikanisch« oder »asiatisch« wecken typische, wenngleich unterschiedliche Assoziationen. Die mentale Landkarte, die den touristischen Blick auf die Welt widerspiegelt, zieht ihre Bilder aus einer beliebig steigerbaren Ansammlung von Schubladenwissen und archivierten Eindrücken. Das Inszenieren von Traumwelten und die Erschaffung von Mythen vor der Reise ist Thema dieser Station. Die Palette an möglichen Medien ist dabei vielfältig und greift auf archivierte Urlaubserinnerungen sowie Reiseerzählungen von TouristInnen ebenso zurück wie auf geschichtlich vermittelte Stereotype. Reisewerbung, Reiseliteratur, Filme und Infotainment oder Diashows transportieren vorzugsweise eine touristische Wahrnehmung der Fremde(n). Auch die Vermarktung des »benötigten« Reiseequipments knüpft an diese Bilderwelt an und steht exemplarisch für die Verquickung imaginierter ethnischer Qualitäten mit einem Produkt. Zugleich vermittelt sie den Mythos von Sicherheit und Kontrolle: die doch teils widrigen fremden Verhältnisse werden dank technischer Überlegenheit überstanden, erobert, gemeistert. Erst aufgrund der touristischen Erfahrungen und des stereotypen »Wissens« über »fremde Kulturen« können die »Bilder« ihre Wirkung in der Werbung entfalten. Sicher verhindern die Fiktionen in der Reisewerbung nicht grundsätzlich, die politische und soziale Realität eines Landes wahrzunehmen. Doch verweist die Macht, die »Anderen« ganz nach dem eigenen Geschmack darstellen zu können, auf den hegemonialen Charakter des Tourismus. Gekennzeichnet ist diese Bilderwelt ebenso wie das Reisegeschehen von einem pick-and-mix Verhalten: Selbstbedienung am Flickenteppich der Kultur-Landschaften. Being there – unterwegs in der Travel Bubble
„Indien war dort am indischsten, wo keine Inder waren“. So oder ähnlich fassen Rucksackreisende ihre Erfahrungen auf dem Subkontinent des Öfteren zusammen. „Indisch“ wird in dieser Sichtweise als exotisch, spirituell und traditionell-vormodern romantisiert; die Menschenmengen, der Autoverkehr, die Händler, die Armut und der Lärm als störende Auswirkungen der industriellen modernen und auch touristischen Entwicklung aufgefasst. Dieser Dualismus ist aus den Bildern über Indien, aber auch über die meisten anderen Entwicklungsländer, fast nicht wegzudenken. Die daraus resultierende Stresssituation bringt Reisende dazu, nach einer gewissen Zeit - manchmal schon zu Beginn der Reise – in touristische „Ruhezonen“ zu flüchten, um sich zu „akklimatisieren“. Die frappanteste Travel Bubble ist sicher die nahezu hermetisch abgeschlossene All-Inclusive-Club-Anlage, in der TouristInnen ihre Zeit in einer Paradiesinszenierung verbringen, so dass ein Einblick in die Lebensverhältnisse der Bevölkerung vor Ort schon allein räumlich ausgeschlossen ist. Aber auch dort, wo die Trennung von lokaler Bevölkerung nicht vorgesehen ist, entstehen durch Tourismus sozio-ökonomische und kulturelle Arrangements, die sich vor allem auf den eigenen touristischen Lebensstil beziehen. Touristische Parallelwelten formieren sich in mehr oder minder großer Intensität überall dort, wo bestimmte Orte als „Sights“ markiert und von entsprechend vielen TouristInnen besucht werden. Der Lonely Planet Trail beispielsweise zieht sich durch jedes gut besuchte Reiseland. Die Bedürfnisse der Traveller haben dabei eine fast weltweit gültige Produktpalette hervorgebracht, ob Banana Pancake, vegetarisches Essen, Internet Cafés oder Traveller Outfit in lokalen Variationen. Oft werden Produkte, die von den „Backpackern“ für traditionelle Erzeugnisse gehalten werden, ausschließlich in der Travel Bubble konsumiert und ebenso ausschließlich für diesen Zweck hergestellt. Bekannte Beispiele sind etwa die bunten Thailand-Tücher, die Nepal-Augen-Taschen, die Sinai-Armbänder oder die putzigen Berlin-Bärchen. Nachfrage und Angebot von Produkten und Dienstleistungen beeinflussen sich dabei gegenseitig und finden ihren Ausdruck in der lokalen Tourismuswerbung. Das Um-sich-selbst-Kreisen der Traveller hat verschiedene Ursachen: das Ausleben der eigenen Urlaubsvorstellungen und das Ausbrechen aus sozialer Kontrolle von zuhause. Dazu kommt häufig noch eine Komponente der eigenen Sinn- und Identitätssuche durch Differenzerfahrungen in „fremden Kulturen“. Diese teilweise widersprüchlichen Bedürfnisse lassen sich nur unter Ausblendung der Alltagsrealität vor Ort befriedigen. Gerechtfertigt wird dieses aktive Desinteresse mit Sprachschwierigkeiten, „kulturellen Hindernissen“ oder mit dem Unwillen, sich in der knapp bemessenen Urlaubszeit mit den Problemen des Alltags zu beschäftigen. Die Balance zwischen Ausblendung der Lebensbedingungen vor Ort bei gleichzeitigem Konsum von domestizierter aber dennoch exotischer Fremdheit ist eine der wesentlichen Anforderungen des Tourismus. Das „Fremde“ muss dabei faszinierend genug sein, ohne jedoch bedrohlich zu werden. Das macht touristische Parallelwelten so attraktiv. Exotik Extrem – einzoomen & ausblenden
„Der Stumpf-Mann saß auf der Gleisüberführung am Bahnhof und bettelte. Er hatte weder Arme noch Beine, aber aus seinem Beinansatz ragte ein fünf Zentimeter langes Metallteil heraus, mit dem er mit erstaunlicher Geschicklichkeit einem batteriebetriebenen Keyboard die Töne einer Melodie entlockte...“ Diese Szene aus Neu Delhi verdeutlicht einen Aspekt des touristischen Blicks, der bei einer Beschreibung von paradiesischen Parallelwelten außer Acht gelassen wird: die Faszination an den Randbedingungen menschlicher Existenz und ihren Abgründen. Nicht nur das Exotisch-Schöne, sondern auch das Exotisch-Schreckliche übt eine besondere Anziehungskraft aus. Die Bilder und Erlebnisse des so genannten „Dark Tourism“ erzeugen starke Gefühle, welche die mit Eindrücken übersättigten Reisenden auch dann noch zu erregen vermögen, wenn der konventionelle Urlaub zu langweilig und der paradiesische Glanz durch Gewohnheit stumpf geworden ist. Auf der Suche nach spektakulären Eindrücken und Grenzerfahrungen jeglicher Art ist auch der Blick auf menschliches Leid oder prekäre Lebensbedingungen eine Attraktion. Nicht zufällig werden vermehrt Ausflüge in Elendsviertel organisiert, Slum-Touren gebucht und Orte von Verbrechen, Terror oder Katastrophen touristisch vermarktet. Dabei ist es kaum möglich, die Intention der geschichtlichen Erinnerung oder der politischen Aufklärung über das miserable Leben der Elendsten unter den Mitmenschen von Angstlust oder Ekelerregung zu trennen. Die Art der Inszenierung und die vorausgeplante, konsumfähige Dosierung des Erlebnisses machen ein kurzzeitiges Einblenden der schauderhaften Seiten der Realität möglich. Ebenso schnell lassen sich solche Abstecher ins „Grauen“, die zumeist als Tagesausflüge in eine Reise integriert werden, wieder ausblenden. Ob als glückliche Arme oder bemitleidenswerte Elende, „die Anderen“ bleiben das Objekt der touristischen Betrachtung. Die Position der TouristInnen ist dabei eindeutig, so lange sie die Begegnung kontrollieren können und die Situation nicht ins Bedrohliche umkippt: Sie sind außenstehende BetrachterInnen, die sich nach einer gewissen Zeit abwenden und ihr Mitgefühl allenfalls in Form einer Spende ausdrücken können. Gerade in der aktuellen Diskussion um den Wiederaufbau der vom Tsunami betroffenen Gebiete hat die „Reise als Spende“ eine neue Popularität erlangt. Die oft gehörte Argumentation „Ich fahre nach Thailand, denn dort ist es so billig wie noch nie, und außerdem brauchen die Leute dort den Tourismus jetzt am Allernötigsten“ zeigt einen zynischen Trend zur „Spende zu Dumpingpreisen“. Here comes the sun! How much? – Begegnung neu belichtet
Kaum lässt sich das touristische Destinationsmanagement treffender symbolisieren, als es die Inschrift auf einem jamaikanischen Lieferwagen vormacht: „Have you done something for tourism today"? Die einheimische Bevölkerung wird an die Wichtigkeit des Tourismus für die nationale Wirtschaft erinnert und auf das richtige Verhalten getrimmt. Den Wünschen und Erwartungen der Reisenden soll entsprochen werden, und die wollen vor allem eines im Urlaub: „no hassle“, also keinen Stress. Die gesamte Bevölkerung wird in die Pflicht genommen, den Tourismus durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber den Reisenden zu unterstützen. In der Selbstpräsentation und Werbung heißt es dann „natürliche Gastfreundschaft“. Im Konkurrenzkampf der zahllosen Sonnen- und Strandparadiese auf einem globalen Markt gilt es, zusätzliche Pluspunkte zu sammeln. „Friendliness is our culture“ fungiert als Werbemotto fast aller Fernreisedestinationen. Der aus ökonomischen Abhängigkeiten und Devisen gespeiste Kontakt zur lokalen Bevölkerung wird von den Reisenden jedoch meist ganz anders interpretiert. Schließlich lockt sie, neben der traumhaften Kulisse, gerade die Vorstellung, andere Kulturen und Lebenswelten kennen lernen zu können. Erhofft wird ein Blickwechsel, der der Erweiterung der eigenen Lebenserfahrung dienen kann. Diese Erwartung, so die Idee, wird vor allem durch den Kontakt mit authentischen Einheimischen erfüllt. Dabei geben sich die TouristInnen mit unterschiedlichen Arten der Inszenierung zufrieden. Denn während den einen ein Folklore-Abend im Hotel als kulturelles Highlight ausreicht, dürstet es andere nach einem Blick hinter die Kulissen. Die Suche nach dem wirklich unberührten Strand oder das Bestreben mancher Backpacker, eine Teestube zu finden, in der man anstatt auf »touristischen« Plastikstühlen auf Holzbänken Platz nehmen kann, verweisen auf den Wunsch, „Authentisches“ zu erleben. Aus Sicht der Bereisten erfordern die unterschiedlichen Bedürfnisse der TouristInnen ganz verschiedene Strategien. Es gilt, die Erwartung der Reisenden zu erkennen und zu bedienen, ohne dabei die gesamte Identität in den Dienst des touristischen Konsums zu stellen. Die Einschätzung der touristischen Vorlieben und erwünschten Authentizitäts- und Erlebnisgefühle ist hier eine wichtige Kompetenz. So ist es natürlich geschäftstüchtigen Teestubenbetreibern zu Ohren gekommen, dass Backpacker aus unerfindlichen Gründen Holzbänke bevorzugen und einen sehr speziellen Sinn für Ästhetik haben. Und Guides können ihr Gehalt aufbessern, wenn sie bereit sind, über die eigentliche Arbeit hinaus, die TouristInnen mit Anekdoten und Familienbesuchen zu versorgen. Trotz des ökonomischen Drucks versuchen die meisten Beschäftigten im Tourismus sich dennoch Rückzugsmöglichkeiten offen zu halten. Während für die Einheimischen die Begegnung in erster Linie ökonomisch motiviert ist, interpretieren die TouristInnen sie als kulturellen Kontakt mit einer fremden Welt. Geprägt von dieser unterschiedlichen Wahrnehmung findet die Verständigung zwischen bereisten DienstleisterInnen und reisenden KonsumentInnen vor allem über Geld statt. Die Kommunikation bleibt auf Kaufen und Verkaufen beschränkt, “How much?” wird zur Begrüßungsformel. Dank ihrer privilegierten Finanzsituation sehen sich TouristInnen zudem nicht mehr als Nehmende, die das jeweilige Land zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse konsumieren, sondern als Gebende, die allein durch ihr Reisen Gutes tun. entdecken... erobern... erholen... – post-koloniale Reisebilder
„Dieses Land der grandiosen Landschaften sieht heute noch aus wie das Afrika der alten Tage, vergleichbar mit Tansania oder Simbabwe, nur ist es hier viel ursprünglicher und schöner. Ich habe zwei lange Jagdreisen in diesem Land unternommen, und jedes Mal habe ich mich gefühlt wie im Afrika der alten, guten Tage. Dieses Gefühl der Wildheit und Exotik vermittelt eine Safari in Äthiopien, und gerade das ist es, was ich so liebe. Auch die Jagd selbst ist noch ursprünglicher und individueller. Noch 1993 habe ich Menschen in den Dörfern des Omo-Gebiets getroffen, die nackt herumliefen wie zur Zeit der Kolonisation.“ (W. Jäger) „Die Attraktionen Tansanias rufen, mitten im unberührten Afrika, Bilder von frühen europäischen Abenteurern wie David Livingstone, Hans Rebman oder Henry Stanley wach. Mit einem reichen kulturellen Erbe von 120 Völkern und einem üppigen Wildbestand hat Tansania heute den Ruf, die letzte Region des reizvollen Afrikas aus dem letzten Jahrhundert zu sein.“ So wirbt das tansanische Fremdenverkehrsamt für den modernen Safaritourismus. Denn koloniales Erbe – oder das, was dafür gehalten wird – soll der zur Pauschalsafari verkommenden Ostafrikareise ein neues Image verleihen. Die in dieser Tourismuswerbung aufgegriffenen Reisesehnsüchte scheinen dieselben zu sein, die schon Missionare, Händler, Forscher oder Abenteurer dazu veranlasst hatten, in die Fremde zu ziehen: Unberührtheit und Wildheit von Mensch und Natur. Frühe Reisende fanden in der Fremde entweder „faule, verderbte Primitive“ oder die in Europa verloren gegangenen Überbleibsel des Paradieses in Form der „edlen Wilden“. Das Reisen selbst blieb zwar lange Zeit einer kleinen Schicht des Bildungsbürgertums vorbehalten. Ihre Erlebnisse wurden jedoch in Form von Forschungsberichten, Gemälden, Reiseromanen und Fotografien weit verbreitet und prägten so in entscheidender Weise die ersten Bilder über die (kolonialisierten) Anderen. Um dem wachsenden Interesse der europäischen Bevölkerung an den „Fremden“ nachzukommen, wurden diese schließlich im 19. Jahrhundert in gut besuchten Völkerschauen „zur Schau gestellt“. Die Reisen der frühen Entdecker und Forscher waren von doppeltem Verlangen, von Neugier und Machtgier geprägt. Historische Fotografien zeigen das sehr deutlich. Die Bilder reproduzieren die erlebte sowie vorsätzlich geschaffene Hierarchie zwischen Kolonisator und Kolonisierten. Die Fotografien betrachten das abgebildete Objekt vor allem als willenlose Projektionsfläche, manche sind in ihrer unverstellten Gewalt haarsträubend, manche strotzen vor exotistischen und sexistischen Klischees. Koloniale Bilder sind somit zum Propagandainstrument imperialer Interessen geworden. Die Motive sind den heutigen Reisefotografien oft erschreckend ähnlich – wie umgekehrt die kolonialen Blicke für viele moderne Urlaubs- und Reisesehnsüchte repräsentativ sind. In der Gegenüberstellung von typischen kolonialen Situationen wie die der Mission oder der Safari mit heutigen touristischen Begegnungen mit dem Fremden wird schnell deutlich, wie wenig sich Einstellungen, Stereotype und Fremdheitsmuster im Laufe der Zeit verändert haben. Allein der Zugang zur exotisierten Fremde wird TouristInnen immer leichter
gemacht. Ein diversifizierter Reisemarkt bedient je nach Erlebniswunsch
diese Sehnsüchte nach „ursprünglichen“ Erfahrungen
in „wilder, aber zu bezähmender Natur“. Dabei spiegelt
die Popularität von Abenteuer- und Naturtourismus auch die Kontinuitäten
(männlicher) Fremdheitsphantasien von Entdeckung, Eroberung und
Unterwerfung der Welt der Anderen wider. Da scheint es auch nicht verwunderlich,
dass sich exotische Souvenirs oder „Kolonialkitsch“ wieder
großer Beliebtheit erfreuen. Dieses Paradoxon steht stellvertretend
für das Kuriositätenkabinett (post-)kolonialer Reisebilder. Migrationen – performing the border
„Daran arbeitet tagsüber am Strand und abends kellnert er in einer Bar. Er ist Albaner, doch die meisten halten ihn für einen Griechen. „Ich sage, ich bin Albaner. Einige antworten: Nein, das ist nicht möglich, dein Griechisch ist so gut. Hast du griechische Verwandte? Andere sind enttäuscht oder irritiert, wenn ich sage, dass ich aus Albanien komme. Manchmal sage ich aber auch einfach, ich sei Grieche. Es ist Teil des business. Wenn das Restaurant voll ist und Gäste fragen mich, wo ich herkomme, dann ist es nicht so gut für’s Geschäft, wenn ich sage, ich bin Albaner. Wenn Gäste aus Kreta wissen wollen, woher mein Akzent kommt, sage ich, Nordgriechenland. Fragen mich Gäste aus Nordgriechenland, behaupte ich, ich stamme von Kreta. Die Albaner sehen aus wie die Griechen und für einen Kellner ist es wichtig, wie er aussieht.“ (Aus: R. Lenz) Imaginationen über das Eigene und das Fremde transformieren Identitäten. Sowohl Tourismus als auch Migration werden von positiven wie auch negativen Identitätsszenarien begleitet: Der Kritik einer Kulturzerstörung durch Tourismus steht die naive Idee des Erhaltes kultureller Vielfalt durch Tourismus gegenüber – und der Bedrohung des kulturellen Selbstverständnisses einer Gesellschaft durch unkontrollierte Migration werden die hybriden und mobilen Identitäten als Protagonistinnen einer flexibilisierten multikulturellen Gesellschaft entgegengehalten. Sicher, Migration und Tourismus sind durch sehr unterschiedliche Dynamiken strukturiert. Die persönlichen Motivationen und institutionellen Kontrollregime, die Erfahrung der Grenze und die Idee von Heimat sowie die Möglichkeit der Rückkehr fallen hier als erste differente Felder in den Blick. Bei genauerer Betrachtung ist jedoch auch eine Reihe interessanter Überschneidungen auszumachen. In beiden Phänomenen wird Globalisierung aus einer kulturellen Perspektive hergestellt. Ähnlich wie Migration nicht ausschließlich als Resultat wirtschaftlicher Gefälle und persönlicher ökonomischer Interessen beschrieben werden kann, lässt sich auch der Tourismus nicht als rein wirtschaftliches Phänomen begreifen. Sowohl im Tourismus als auch in der Migration spielen Identitätskonzepte sowie gesellschaftsrelevante Bildkonstrukte über Eigenes und Fremdes eine zentrale Rolle. Der aktuelle Diskurs über Mobilität (einerseits als wünschenswerte und erstrebenswerte Pionierin einer multikulturellen Gesellschaft, andererseits als unerwünschter Ausnahmezustand) wirkt auf beide Phänomene, auf das Konzept der Migration und auf die dominante Vorstellung des Ver-Reisens: Die Ideologie der Sesshaftigkeit wird zunehmend mit der Vorstellung von flexiblen und mobilen SpielerInnen und FlaneurInnen konfrontiert. Nomadisches Leben wird touristisch romantisiert, doch nimmt alles Nomadische schnell eine bedrohliche Form an, wenn es die für den touristischen Genuss vorgesehenen Räume verlässt und unkontrolliert in die Herkunftsländer der westlichen TouristInnen eindringt. Dabei ist Tourismus auch Verursacher von Migration, z.B. durch Vertreibung anlässlich touristischer Entwicklung oder infolge des Bedarfs an flexiblen Arbeitskräften in dem von Saisonalität bestimmten Feriengeschäft. Dabei grenzt die rassistische Institutionalisierung der Bilder die MigrantInnen tendenziell und oft gewalttätig aus, während sie TouristInnen begünstigt. Die Grenze wird anders definiert, hat meist existentiellere und bedrohlichere Momente in der Migration. Migrantische Grenzsituationen unterscheiden sich von touristischen durch ihre Ernsthaftigkeit und oft auch Ausweglosigkeit. Auch die Wege und Verkehrsmittel sind trotz vieler Überschneidungen und gemeinsamer Knotenpunkte grundsätzlich verschieden. „Legale“ und „illegale“ Praktiken des Reisens und der Migration stehen in krassem Kontrast zueinander. Während der privilegierten Mobilität die Heimat immer als Folie dienen kann und die Rückkehr meist als reale Möglichkeit besteht, existieren diese in der Migration oft nur theoretisch. Nach der Reise – retouchierte Idylle … archivierte Erinnerungen
Gestern erst war brasilianische Salsa-Woche, heute ist Sushi-Tag, am Wochenende afrikanisches Trommelfestival. WeltenbummlerInnen können zwei Tage lang mit dem multimedialen Diafestival auf eine virtuelle Reise gehen, von Australien bis nach Alaska. Auch gibt es endlich mit dem Postboten aus Afrika und der Latino-Bedienung im Café Brasil etwas zu reden: Ach, Sie sind aus Gambia, Sie aus Mexico? Da war ich auch schon mal. Die auf der Reise gemachten Erfahrungen zählen zu Hause als kultureller Mehrwert. Alle erdenklichen Accessoires rufen Erinnerungen wach und bedienen daheim das mitgebrachte Fernweh: Essen, Musik, Kleidung und Lifestyleprodukte mit kulturellem Touch. Sie helfen, die idyllischen und geglückten Seiten des Urlaubs auch daheim noch ein wenig zu genießen. Nach der Reise will die Flut der Eindrücke in den Alltag integriert werden – das Erlebte fordert einen Platz auch in der „Heimat“. Das gilt auch für die weniger erfreulichen Realitäten in den Ferienparadiesen – insbesondere die unübersehbare Armut, zunehmend gar Krisen, Gewalt und Terror. Spendenprogramme fangen das empathische Gefühl der Solidarität mit den Armen auf, Weltverbesserung funktioniert dank der eigenen Kaufkraft – im body shop ebenso wie beim Buchen der nächsten Reise. Das Verwalten der Fremde(n) und ihre Integration in den Alltag ist treibende Kraft der multikulturellen Gesellschaft. Fremde wird in vorgesehene, überschaubare und kontrollierbare – auch konsumierbare – Einheiten geschlossen. Eingeschrieben in Lifestyleprodukte wie Zigaretten, Autos oder Modeartikel, aber auch in der Spendenwerbung und bunten Städtewerbung haben die „fremden Kulturen“ ihren Platz: bezeichnend ist in allen Fällen die räumliche und zeitliche Begrenzung, die Kontrollierbarkeit der Fremde, die ganz nach Zeit, Lust und Laune konsumiert oder ignoriert werden kann. Zwar ist der Urlaub nicht einziger Ausgangspunkt gesellschaftlicher Prägung. Und doch verstärken die archivierten und retouchierten Urlaubserinnerungen die kulturalistische Brille, mit der auch MigrantInnen zu Hause wahrgenommen werden. Das touristische Raster der Fremdwahrnehmung liefert Interpretationshilfen für das Verhalten der Fremden generell: Ihnen werden typische Eigenarten und dazu passende Rollen zugedacht. Dabei bietet ein mutmaßlicher Nutzen ihrer vermeintlich typischen Eigenschaften in wirtschaftlicher oder kultur-industrieller Hinsicht Orientierung. Die multikulturelle Gesellschaft integriert somit die „Fremden und Exoten“ als etwas Zweckmäßiges in die eigene Welt der Ordnung und Funktionalität. Zugleich schützen immer massivere Kontroll- und Abwehrmaßnahmen vor denen, die keinen Genuss oder wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Während die Mehrheitsgesellschaft für sich die Palette der Auswahlmöglichkeiten erweitert und sie zur eigenen Distinktion benutzt, können die „Anderen“ ihre zugeschriebenen Rollen kaum verlassen. So entsteht eine durch den touristischen Blick geformte Landkarte mit
Orten und Identitäten der Andersartigkeit. Die hierarchische Rollenverteilung
in der Gesellschaft und zunehmende soziale Polarisierung weltweit ist
ohne Frage das Ergebnis einer ökonomischen Globalisierung nach
neoliberalen Vorgaben – und doch nicht ohne die kulturalistischen
Muster auf der Bilderebene denkbar, die ganz wesentlich vom Tourismus
kreiert und lebendig gehalten werden. Es besteht die Möglichkeit, die Wanderausstellung auszuleihen. Sie besteht aus drei Teilen, so dass sie räumlich flexibel eingesetzt werden kann. Ziel der Ausstellung ist es, zur Reflexion eigener Reiseerfahrungen und der mitgebrachten Bilder über die Fremde(n)anzuregen. Auch das, was der touristische Blick auf die Fremde so gerne ausblendet, wird neu belichtet. Anfragen an:
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