Wer kontrolliert eigentlich wen?
Während im neoliberalen Kapitalismus
noch die letzten Winkel des Planeten der
Verwertungslogik des Kapitals unterworfen
werden sollen, entwickeln Menschen
auf der ganzen Welt Antworten und Gegenstrategien.
Auf dem 29. Bundeskongress
Internationalismus wollen wir uns mit
unterschiedlichen Akteuren von Kontrolle
und ihren Beziehungen auseinander setzen
und die unterschiedlichen Strukturen und
Strategien von Kontrolle aufdecken. Wem
dient Kontrolle zu welchem Zweck? Wie
und von wem wird Kontrolle ausgeübt und
wie wird Kontrolle legitimiert? Wer verlangt
nach Kontrolle und wer bekämpft sie? Um
diese Fragen kreist unser Kongress, der
mit seiner internationalistischen Ausrichtung
der Vielfalt der globalen, regionalen
und lokalen Widerstandsbewegungen
gerecht werden will.
Unser Alltag ist durchdrungen von Kontrolle,
dem unabdingbaren Instrument eines weltweiten hegemonialen Projekts. Die
konkret in Erscheinung tretenden Formen dieser Herrschaftstechnik und -ideologie
begegnen uns tagtäglich und sind Gegenstand unserer Kämpfe. Dabei lassen
sich Kontrollmechanismen, - institutionen und -diskurse auf den unterschiedlichsten
Ebenen verorten.
Asymmetrie und Kontrolle: Strukturen
und Institutionen der Dominanz
Im internationalen Maßstab werden
Kontrollpolitiken in erster Linie von
Nationalstaaten verfolgt, die in einem
Konkurrenzverhältnis um eine möglichst
gut gelingende Akkumulation stehen. Sie
werden betrieben im Rahmen globaler
Herrschaftsstrukturen, die sich durch ungleiche
ökonomische Konkurrenzfähigkeit,
militärische Durchsetzungsfähigkeit und
politisches Gewicht der Staaten auszeichnen.
Diese Ungleichheit wird durch die
bestehenden Strukturen und Institutionen
reproduziert. Das gilt zunächst auf ökonomischer
Ebene: Länder des Südens sind
zur Finanzierung ihrer Importe auf harte
Währungen und Kredite aus den Metropolen
angewiesen. Können sie diese nicht
zurückzahlen, entstehen für die von den
Industrieländern dominierten internationalen
Finanzinstitutionen weit reichende
Möglichkeiten, politische Reformen zu
erzwingen, die ihrerseits die Exporte der
Industrieländer begünstigen.
Kontrolle beinhaltet ebenso die Verfügung
über Ressourcen und billige Arbeitskraft.
Auch hier wird die Dominanz der Industrieländer
häufig in ökonomischer Form
ausgeübt: Als ausländische Direktinvestition
oder als Auslagerung arbeitsintensiver
Produktionsschritte in Niedriglohnländer.
Längst reduzieren sich staatliche Kontrollpolitiken
nicht nur auf die Begünstigung
ökonomischer Absicherung: Wo diese
nicht ausreicht, werden Ressourcenkonflikte
militärisch ausgetragen. Weltumspannende
Konflikte und kriegerische
Auseinandersetzungen um die Kontrolle
über Energie und Ressourcen spitzen sich
zu, ob offen mittels „full spectrum dominance“
oder unscheinbar als „guerra de
baja intensidad“ („Kriegsführung niedriger
Intensität“).
Kontrolle nach Innen und Außen
Kontrollpolitiken auf der globalen Ebene
ziehen Kontrollpolitiken auf der lokalen
Ebene nach sich: Die zunehmende Polarisierung
in Arm und Reich, in Integrierte
und Ausgeschlossene, stellt für die
Profiteure der bestehenden Ordnung ein
Risiko dar. Die radikalisierten Sicherheits-
und Kontrolldoktrinen sind ihre
Antwort auf wachsende soziale Spannungen.
Das Ergebnis ist die Aufrüstung
und Abschottung der Wohlstandsinseln.
Grenzen werden mit großem Aufwand
gegen unerlaubte Übertritte gesichert und
dabei Todesopfer ganz selbstverständlich
in Kauf genommen. Die Städte zerfallen
zunehmend in „sichere“ und „unsichere“
Zonen, wobei die „sicheren“ Bereiche
durch fortlaufend perfektionierte Überwachungstechnologien
und Bataillone privater Sicherheitskräfte geschützt werden.
Die selbst in prekären Verhältnissen
lebenden Sicherheitsleute überwachen
und kontrollieren die Armut und zementieren
die Grenze zwischen oben und unten.
In den Kontroll- und Sicherheitspolitiken
verschränken sich Formen „äußerer“ mit
Formen „innerer“ Kontrolle. Im Zentrum
„innerer“ Kontrolle als „Regierung des
Selbst“ steht ein bestimmtes Verständnis
von Normalität. Dieses wird erstens definiert
durch die patriarchalische Festlegung
von Geschlechterrollen, sei es in der
Kontrolle über menschliche Körper oder
auch in der Verwertung auf dem Arbeitsmarkt.
Damit verwoben bildet zweitens
das ökonomistische Nützlichkeitsdenken
einen Kernpunkt zur Definition normalen
Verhaltens. Ökonomischer Nutzen ist die
Basis für die Ausgrenzung und Stigmatisierung
von Erwerbslosen ebenso wie für die
Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse.
Der rassistische Normalisierungsdiskurs der „Integration“ stellt
ein weiteres Puzzleteil im Bild einer von
hierarchischen Kontroll- und Herrschaftsverhältnissen
durchzogenen Gesellschaft dar. In den Diskursen um „Integration“,
„(Un-)Sicherheit“, „globale Konkurrenz“
und in der sich verbreitenden Rhetorik vom
„Kampf der Kulturen“ verdeutlicht sich das
neoliberale Verständnis von Staatlichkeit:
„Staat“ wird reduziert auf den Garanten
der Sicherheit. Das diskursiv hergestellte
„Andere“ erscheint dabei als Unsicherheitsfaktor,
der unter Kontrolle zu bringen ist. Zumindest die europäischen Staaten
erleben einen strukturellen Wandel hin zum „Sicherheitsstaat“. Galt in den
vergangenen Jahrzehnten der postulierte
soziale Ausgleich als zentrales Integrationsprinzip
der Gesellschaft im „Wohlfahrtsstaat“,
so definiert sich Staatlichkeit heute in erster Linie über die vermeintliche
Herstellung von Sicherheit. Dies konkretisiert
sich in der zunehmend repressiven, auch von großen Teilen der Bevölkerung
geforderten Law-and-order-Politik, aber auch im Wiedererstarken des Nationalismus
als Ein- und Ausgrenzungsprinzip. Der betriebenen Politik sozialer Ausgrenzung
und Verunsicherung, die anhand ökonomischer, ethnischer und kultureller Kategorien verfestigt wird,
steht auf der Ebene der sozialen Beziehungen eine analoge Entwicklung gegenüber: Eine Subjektivierungsweise,
in der Menschen sich zu ihrer sozialen Umwelt in Begriffen des „Risikos“
und der „Konkurrenz“ in Beziehung setzen, in der das Gegenüber also als ständiger
Faktor der eigenen Unsicherheit erscheint.
Control Yourself
Diese Subjektivierungsweise beschreibt
Michel Foucault in seinen Vorlesungen
zur Gouvernementalität für die westlichen
Gesellschaften. Er entwickelt eine
Vorstellung von „Regieren“ und „Regiert-
Werden“, die es uns erlaubt, die Mikropolitik
der Selbsttechniken in die Analyse mit
einzubeziehen. Selbsttechniken werden
verstanden als Verfahren, die jedes Individuum
auf sich selbst anwendet, um in
der Gesellschaft funktionieren zu können,
um akzeptiert zu werden und als „normal“
zu gelten. In den Mittelpunkt seiner
Überlegungen zum Neoliberalismus rückt
Foucault das „Unternehmen“, verstanden
als Basiseinheit der Gesellschaft, gleichzeitig
Integrationsprinzip und politisches
Programm der kapitalistischen Ordnung.
Menschen sind UnternehmerInnen ihrer
selbst, sie akkumulieren „Humankapital“
und stehen als „Ich-AG“ in ständiger Konkurrenz
zur sozialen Umwelt. Das Unternehmen
sei im neoliberalen Denken „ein Modell der Existenz selbst, eine Form der
Beziehung des Individuums zu sich selbst,
zu seiner Umgebung, zur Zukunft, zur
Gruppe, zur Familie.“
Einerseits ermöglicht
es Foucaults Konzeption, die Selbstverortung
der Individuen in einer als Konkurrenz
und Unsicherheitsfaktor begriffenen sozialen
Umwelt zu beschreiben; andererseits
weitet er die Perspektive aus und spannt
einen Bogen von den Selbsttechniken
zu den neoliberalen Umgestaltungen auf
staatlicher und suprastaatlicher Ebene.
Diese Strukturen der Herrschaft gilt es
aufzudecken und zu benennen, um Interessen
einzelner Akteure in ihren Wechselwirkungen
bestimmen und die Logik
globaler kapitalistischer Ausbeutung einer
radikalen Kritik unterziehen zu können.
Gleichzeitig müssen die Orte und Bewegungen
benannt werden, an denen sich
Kontrolle, Bevormundung und Ausbeutung
verdichten und an denen Widersprüche
offensichtlich werden. Diesen Erfordernissen
wird „die“ globalisierungskritische
Bewegung derzeit nur unzureichend gerecht.
Zwar gelingt es oftmals und an den
verschiedensten Orten, die Widersprüche
dingfest zu machen, Kritik zu artikulieren
und Widerstand zu organisieren. Doch
können soziale Bewegungen als AkteurInnen
innerhalb einer von hierarchischen
Machtverhältnissen durchzogenen Weltordnung
nur dann effektiv agieren, wenn
sie ihre einzelnen Aktivitäten innerhalb
eines globalen Zusammenhangs verorten
und sich global vernetzen. Dies ist noch
viel zu wenig der Fall.
Regain
Das Projekt radikaler globaler Bewegungen
sollte zum einen darin bestehen, die
oftmals konturlosen und dezentrierten
Kontroll- und Herrschaftsverhältnisse
symbolisch zu vereindeutigen und zu
benennen. Zum anderen sollte es die – immer
umkämpfte – Entwicklung lebbarer
Alternativen wahrnehmbar werden lassen.
Die Effektivität dieser Bewegungen ist
abhängig von ihrer globalen Vernetzung,
also vor allem vom Wissen um die Kämpfe,
die an anderen Orten geführt werden.
Wissen heißt, aus Erfahrungen zu lernen,
aber auch in Wort und Tat eine kritisch-solidarische
Haltung einzunehmen. Wissen
ermächtigt zum Handeln. Die Freiheit und
der Wille zu AkteurInnen zu werden, ist
Voraussetzung für die Aufkündigung der
Loyalität gegenüber einer ungerechten
Weltordnung. Beispiele für die Aufkündigung
dieser Loyalität und für die radikale
Infragestellung der Legitimität der gegenwärtigen
globalen Herrschaftsverhältnisse
lassen sich zuhauf finden. Seit Seattle sind
Proteste gegen Gipfel und Verhandlungsrunden
verstärkt in den Fokus medialen
Interesses gerückt. Wo auch immer sich
die ApologetInnen des globalen Kapitalismus
versammeln, werden sie von den
sozialen Bewegungen verfolgt, zur Rede
gestellt und bekämpft. Während auf den
Gipfeln an der Fortführung der kolonialen
Herrschaftsverhältnisse gefeilt wird,
entwickeln Sozialforen neue Formen
kooperativer und gleichberechtigter
Politik, die versuchen, sich den neoliberalen
Denkmustern zu entziehen und so
über die Kontrollregime der Gegenwart
hinausweisen. Gegen die Kriege, die um
den Erhalt kolonialer Ausbeutungsverhältnisse
über Energie und Ressourcen und
für eine bessere Ausgangsposition in der
sich verstärkenden Konkurrenz zwischen
Russland, China, Japan, EU und USA
geführt werden, wird Widerstand laut. Selbiges
gilt für Proteste gegen Großprojekte
wie Staudämme und Kraftwerke, aber
auch gegen die Privatisierung der Wasserversorgung
und anderer öffentlicher
Einrichtungen. Millionen von MigrantInnen
lassen sich nicht von den immer höheren
Mauern und Zäunen um die „Festungen“
in Europa, Nordamerika und im asiatischen
Raum aufhalten, sondern widersetzen sich
aktiv der Kontrolle ihrer Bewegungsfreiheit.
Dies sind nur einige wenige Beispiele
für Widerstand. Doch es bleibt die
Feststellung der unzureichenden globalen
Vernetzung.
re:control BUKO29
Die Kämpfe um ein selbst bestimmtes
Leben, gegen Hierarchisierungs- und
Kontrollinstrumente, nehmen global die
unterschiedlichsten Formen an. Sie sollen
uns auf dem 29. BUKO in internationalistischer
Perspektive beschäftigen. Wir
haben die Foren Migration und Kolonialismus,
Stadt und Sicherheit, Energie sowie
G8 eingerichtet. Somit ist der BUKO 29
Ort politischer Analyse und kooperativen
Lernens, versteht sich aber gleichzeitig
als Teil der sozialen Kämpfe weltweit. In
besonderer Weise trägt dem das Forum G8
Rechnung. Es steht im Kontext der Mobilisierung
gegen den Gipfel der mächtigsten
Industriestaaten, der im Juli 2006 in Sankt
Petersburg und 2007 in Heiligendamm bei
Rostock stattfinden wird. Der BUKO 29 lädt
ein zum Austausch und zur Entwicklung
gemeinsamer Strategien, Standpunkte und
politischer Praxis. Diskutiert mit uns realistische
und radikale Utopien. Wir sehen
uns in Berlin!