Kämpfe: Einmal Tahrir-Platz und zurück
Bevor sich die Revolten des Arabischen Frühlings wie ein Lauffeuer ausbreiteten, hätte wohl kaum jemand einen Wandel "von unten", einen Sturz der Jahrzehntelang herrschenden Diktatoren, erwartet. Hunderttausende besetzten die öffentlichen Straßen & Plätze und widersetzten sich den Regimen der Angst. Der Arabische Frühling ist wohl das historische Ereignis, das Soziale Bewegungen seit 2011 weltweit am Stärksten beeinflusst hat. Gleichzeitig sorgen die Entwicklungen der letzten Monate auch für Ernüchterung. Blickt man etwa nach Ägypten, wo das Militär nach dem Sturz Mubaraks mit blutiger Gewalt gegen die Demonstrant_innen vorging und konservative bis reaktionäre Kräfte die Wahlen gewannen. In Syrien herrscht ein blutiger Bürgerkrieg mit bereits tausenden Toten. In Bahrain lässt der Polizeistaat die Aufstände blutig niederschlagen. Die schnelle und begeisterte Bezugnahme scheint schwieriger zu werden ‑ die Ratlosigkeit ist groß: Wie sich beziehen und auf wen, wie konkrete Solidarität üben?
Im Bewegungsjahr 2011 schien noch mehr Unmögliches möglich zu werden: Der Zuccotti Park in New York wurde zur "Liberty Plaza". "Occupy Wall Street" forderte eines der bedeutenden Machtzentren heraus und gab den Startschuss zum Protestcampen, Besetzen und Blockieren weltweit. "Democracia Real Ya" vereinte die Empörten in Europa und darüber hinaus. Der Slogan "Empört euch!" galt für alle, die sich schon längst nicht mehr von der repräsentativen Demokratie repräsentiert fühlen: von den prekären Jugendlichen in Spanien bis hin zu den Bahnhofsgegner_innen in Stuttgart. Occupy ist auch 2012 eine Suchbewegung für alle jene, die unzufrieden sind, aber keine fertigen Antworten haben. Statt klarer politischer Forderungen ist es gerade deren Abwesenheit, die Occupy für viele attraktiv macht. Hierzulande nehmen "erfahrenere" Bewegungsaktivist_Innen eher verhalten darauf Bezug. Zu unklar scheint zu sein, ob die Offenheit der Analyse und die vielfache Fixierung auf die Banken nicht auch in eine zweifelhafte Richtung schwenken könnten. Wie also umgehen mit dem Widerspruch zwischen dem Unbehagen über die Diffusität der Bewegung einerseits und der Anerkennung der Stärken eines offenen Ansatzes andererseits?
Die Kämpfe sind vielfältig und komplex
Richten wir nun den Blick auf die Krisenproteste in Europa, vor allem in Europas Süden. Auch hier wird für Partizipation und soziale Gerechtigkeit gekämpft. Das Krisenregime unter Führung Deutschlands und Frankreichs zerstört in Ländern wie Griechenland, Portugal und Spanien, soziale Errungenschaften und Infrastruktur so nachhaltig, dass die Menschen auf lange Sicht massenhaft entrechtet und in die Armut getrieben werden. Größere, grenzüberschreitende Proteste blieben bisher ‑ gleich einer Schockstarre ‑ weitgehend aus. Doch die diskursive Hegemonie der scheinbaren Alternativlosigkeit zum gnadenlosen Spardiktat bröckelt. So zweifeln immer mehr Menschen am neoliberalen Krisenlösungsmodell, das immer weiter in den Abgrund zu führen scheint. Innerhalb Europas macht sich eine wachsende Spaltung breit: zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich, zwischen Ein- und Ausgeschlossenen. Es zeichnen sich nicht nur tiefe Risse zwischen den einzelnen Ländern der EU ab, sondern auch innerhalb der Gesellschaften findet eine massive Umverteilungspolitik von unten nach oben statt. Diese wachsende innereuropäische Ungerechtigkeit wird mit fast der gleichen Politik produziert, mit der die Europäische Union bereits seit Jahrzehnten die Länder des globalen Südens in die Knie zwingt und deren Teilhabe am Wohlstand systematisch verhindert.
Neben diesen "weltbewegenden" Ereignissen und Umbrüchen kann leicht die Vielzahl der alltäglichen Kämpfe aus dem Blick geraten, die permanent und überall stattfinden: Kämpfe für Land, Wasser, Nahrung & Wohnraum; gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Willkür; gegen Zerstörung von Umwelt & Ressourcen; gegen Abschiebung & Rassismus. Nicht selten sind diese existenziell, gefährlich und gegen übermächtige Gegner ‑ aller Repression zum Trotz.
Vom arabischen Frühling zum europäischen Herbst?
Die Welt aus Sicht der kleinen und großen Widerstände kann ermutigende Perspektiven aufzeigen, doch sollte nicht übersehen werden, dass die Kämpfe nicht beliebig deutbar sind und sie auch nicht immer taugen als Identifikationsobjekt. Der Tahrir-Platz in Kairo ist eben nicht der Willy-Brandt-Platz vor der EZB in Frankfurt, auch wenn die Symbolik der Platzbesetzungen klar aufeinander verweist. Und der solidarische gemeinte Ausspruch ?Wir sind alle Griechen? könnte die tiefe soziale Spaltung verkennen, die mitten durch Europa geht und einer nationalen Rhetorik das Wort führen, die auch die jeweiligen Widersprüche im Land selbst verkennt.
Auf dem BUKO werfen wir einen vielfältigen Blick auf die weltweiten sozialen Bewegungen. Wir fragen nach den gemeinsamen Bezugspunkten und Ähnlichkeiten, aber auch nach tiefen Unterschieden, sowie nach den Ursachen von Rückschlägen. Wir verfolgen nah die aktuellen Krisenproteste, diskutieren wie Solidarität und grenzüberschreitende Bewegungen praktisch werden können und eröffnen schließlich Perspektiven auf einen widerständigen Alltag...