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Alle oder keiner - Emanzipation mit Commons?

"Wenn wir unsere Commons verteidigen wollen, können wir nicht schweigend abseits stehen, wenn Staaten, die von Konzernen regiert werden, unseren Reichtum untereinander aufteilen und damit unsere Zukunft gefährden."
(Vandana Shiva, Indien)

Weltweit beziehen sich soziale Bewegungen, politische Initiativen, Wissenschaftler_innen und Umweltaktivist_innen auf den Begriff "Commons", um gegen die Privatisierung öffentlich geregelter und gemeinsam genutzter Güter vorzugehen. "Commons" sind das allen Gemeine: Gemein-Ressourcen, Gemein-Güter und Gemein-Schaften. Es sind endliche, stoffliche Ressourcen wie Rohstoffe, Wasser, Wald oder Land und nichtstoffliche Gemeingüter wie Wissen, Ideen oder Musik sowie soziale Netzwerke, Plätze, Parks und öffentliche Gärten. Zentral für Commons ist die Nichttrennbarkeit von Gütern und sozialen Vereinbarungen über ihre Nutzung und Pflege. Der Historiker Peter Linebaugh schreibt: Gemeinschaftliche Güter existieren nur in und durch eine gemeinsame soziale Praxis. "There is no commons without commoning."

Commons existieren nur...

Commons sind nicht an eine bestimmte Eigentumsform gebunden. Entscheidend sind die konkreten Verfügungsrechte, also ob Menschen von der Produktion, Pflege und Nutzung der Gemeingüter ausgeschlossen sind. Commons sind weder Waren noch ungeregelte freie Güter, sondern werden nach konkreten Vereinbarungen sozial hergestellt, gepflegt und genutzt. Commons werfen - jenseits von Markt und Staat - auf neue Weise die zentrale Frage auf: Wem gehört die Welt, und wer hat auf welche Weise Zugang zu gemeinsamen Reichtümern?

...durch eine gemeinsame soziale Praxis

Die Teilnehmer_innen des letztjährigen World Social Forums formulierten einen "Aufruf zur Wiedergewinnung der Gemeingüter". Darin rufen sie ?alle Bürger_innen der Welt und ihre Organisationen dazu auf, sich für die Rück-eroberung oder Erlangung der gesellschaftlichen Verfügung über die gegenwärtigen und künftigen Gemeingüter der Menschheit und der Erde zu engagieren?.Dies geschieht bereits weltweit: In Mexiko kämpfen Forstgemeinschaften gegen die Privatisierung der Wälder. In vielen Ländern Asiens protestieren Kleinfischer_familien gegen die Privatisierung und Überfischung der Meere durch Großkonzerne. In Chile ist bereits über 80 Prozent der Wasserversorgung privatisiert, trotz massiver Proteste.

In Europa richten sich die Kämpfe um Commons gegen das Zur-Ware-Werden zuvor öffentlich geregelter Daseinsvorsorge, z.B.gegen die Privatisierung von  Krankenhäusern.Die streikenden und Säle besetzenden Schüler_innen und Studierenden protestieren gegen die kapitalistische Ökonomisierung der Bildung durch Einhegung des Wissens.

Gleichzeitig werden Commons-Strukturen aktiv geschaffen und erhalten: in selbstverwalteten Betrieben und Hausprojekten, durch das Entwickeln Freier Software oder in Form von kostenloser Kultur. In vielen Ländern des globalen Südens werden Wasser, Land oder Wälder zumindest teilweise als Gemeinschaftsgüter genutzt.

Allerdings gibt es bei der An-/Enteignung von Gemeingütern Unterschiede zwischen Nord und Süd. Der globale Norden ist Nutznießer von Enteignungen im globalen Süden; Beispiele dafür sind Agrosprit, Holz- und Landraub, Schiffbarmachung von Flüssen, Überfischung. Die Verlierer_innen und der Widerstand gegen die Einhegung der natürlichen Commons sind dagegen stärker im Süden zu finden. Andererseits zeigen Formen der weltweiten Kooperation, wie bei anarcho-kommunistischen Kooperativen und der Freien Software, dass die freie Zirkulation von Wissen und Gütern nicht nur vernünftiger erscheint, sondern bereits stattfindet.

...jenseits der Warenwelt.

Der zentrale Gegensatz bei den Kämpfen um eine zukünftige Commons-Ökonomie bleibt derjenige zwischen der Instrumentalisierung und Verwertung aller menschlichen Fähigkeiten im Rahmen der kapitalistischen Warenlogik und der "absoluten Herausarbeitung der schöpferischen Anlagen [des Menschen] als solcher, nicht gemessen an einem vorhergegebenen Maßstab" (Karl Marx). Es geht um die individuelle Entfaltung, die die Entfaltung der jeweils anderen zur Voraussetzung hat, um das Recht aller auf freien Zugang materiellen Ressourcen, Wissen und Kultur. Gemeinsam ist den genannten Kämpfen und Initiativen, dass sich Menschen dagegen wehren, ihr Leben, kollektives Wissen und ihre Bezugnahme aufeinander der Diktatur des Kapitals zu unterwerfen. Sie wollen ein Leben jenseits der Warenwelt schon im Hier und Jetzt greifbar werden lassen. Durch Aneignung von Räumen, Zeiten und Inhalten zielen sie auf eine gemeinsame Form der Partizipation, in der die Einzelnen ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen und sich Partner_innen suchen können.

Commons haben Potenzial - viele Fragen sind jedoch ungeklärt. Während des BUKO 33 wollen wir sie gemeinsam diskutieren: Welche Chancen bieten Commons im Kampf gegen Armut? Sind Commons per se emanzipatorisch - oder nur wenn sie in einer bestimmten Weise organisiert sind? Hängen Commons und ökologisches Wirtschaften zusammen? Und kann der Kampf um Gemeingüter mit anderen Kämpfen (z.B. um ein bedingungsloses Grundeinkommen) verbunden werden?

 

Dem Markt Land entziehen

Wir haben Salomão Isodoro aus Mato Grosso (Brasilien) gebeten, seine Eindrücke zum Thema Commons zu schildern. Salomão Isodoro wird auf dem BUKO auch zum Thema ?Commons in Brasilien ? Nischen und Abwehrkämpfe? referieren.

Am Beispiel von vier existenziellen Gemeinressourcen ? Wasser, Land, Gesundheit, Bildung ? sieht man, was tatsächlich tragisch ist: Dass nämlich diejenigen, die sowohl das bessere Wissen über die nachhaltige Nutzung dieser Ressourcen haben als auch das direkte Interesse am vernünftigen und sozialen Umgang damit und (zwar nicht immer, aber doch häufig) eine spirituelle, traditionelle und/oder emotionale, tiefgründige Verbindung zu diesen Ressourcen haben, meistens nicht diejenigen sind, die die Verfügungsgewalt über die Güter haben.

Das sieht man besonders deutlich an den Landbesitzverhältnissen: Weit über die Hälfte des Landes gehört denjenigen, die ein reines Profitinteresse an ihrem Besitz haben, während nur ein geringer Teil denen gehört bzw. von denen souverän genutzt werden kann, die ein existenzielles Erhaltungsinteresse am Land haben.

Deshalb sind die Landkämpfe (der Landlosenbewegung MST, der Indigenas, ?) mehr als Kämpfe um einen Besitztitel auf ein Stückchen Land. Sie sind Kämpfe darum, dass die Verfügungsrechte und -möglichkeiten über die Gemeinressource Land demokratisiert werden; dass also diejenigen miteinander darüber verfügen können, die bereit sind, es als Gemeingut zu betrachten und entsprechend zu handeln. Deshalb ist z.B. das Land, das von Angehörigen des MST erkämpft wird, nicht käuflich und nicht verkäuflich. Es wird dem Markt entzogen. Wer die Bewegung verlässt, überlässt das Land kostenlos denen, die es danach nutzen.

Dieselbe Tragik gilt für die Ressource Wasser: Diejenigen, die in der globalisierten Weltwirtschaft über die Verteilung von Wasser verfügen, sind selten diejenigen, die sich durch die tägliche Arbeit mit dem Wasser das Wissen darüber angeeignet haben, wie die (je nach Region unterschiedlichen) Wasserreserven für möglichst viele Nutzer_innen und für zukünftige Generationen auch noch sinnvoll nutzbar sind (ganz abgesehen davon, dass sie andere Interessen haben).

Im Gesundheitsbereich bedeutet Wiederaneignung der ?bens comuns?, das zum Teil verschüttete traditionelle Wissen wieder den Menschen verfügbar zu machen, die ansonsten von einem Gesundheitssystem abhängig sind, das für sie fast nicht existiert. So war es z.B. für die Chicitanos in Mato Grosso früher selbstverständlich, Schlangenbisse und tropische Krankheiten zu behandeln und zu heilen. Natürlich sind es auch hier die anderen, die sich die Gemeinressourcen aneignen, patentieren und Profit daraus schlagen. Gerade in Brasilien wird der Kampf ums Patentrecht besonders erbittert, aber zum Teil mit Erfolg, geführt.

Diese Reflexionen sind entstanden aus der Praxis einer Basisgemeinde in der Peripherie von Cáceres, einer 100.000-Einwohner-Stadt, die jahrelang illegal (also ohne die Anerkennung von Kommune und Kirche) gearbeitet hat. Hier flossen die Interessen und Kämpfe eines Netzwerks verschiedener sozialer Bewegungen aus der Stadt und dem Umland ein: Landlose, Gewerkschaften, Kleinbauernkooperativen, Stadtteil?räte?, Schüler_innen, Studierende und andere Gruppen der Zivilgesellschaft.

 

Gelebte Utopie

In den Kommunen, Arbeitskollektiven, Tauschringen... verändern sich in den letzten Jahrzehnten die gelebten Utopien. Die Flexibilität zur Teilhabe an neueren Projekten wird größer, der Trend geht weg vom (mehr oder weniger äquivalenten) Tauschen hin zum selbstbestimmten Beitragen zum Gemeinsamen und hin zum Nutzen statt Besitzen. Dieser soziale Prozess gilt in der Commons-Debatte als ?Common based Peer Production?.

Beispiele dafür sind unter anderen der Karlshof mit seiner nicht-kommerziellen Landwirtschaft, das Mietshäusersyndikat für selbstverwaltetes Wohnen ohne Eigentum und Finanzkoops mit verschiedenen Formen der gemeinsamen Ökonomie. In Entstehung ist das europäische Netzwerk Anavan, welches durch Umverteilung Freiraum schaffen möchte für die gemeinsame Entwicklung und Organisation von Commons. Bekanntere Beispiele sind Freie Software, die unabhängige Medienorganisation indymedia, internetbasierten Übernachtungsnetzwerke und Umsonstläden.

Auf dem BUKO 33 soll, neben Analyse und Kritik der Rahmenbedingungen von Commons, auch die Auseinandersetzung mit gelebten Utopien ein Schwerpunkt sein. Projekte werden sich vorstellen und ihre Erfahrungen und Reflexionen in die Commons-Debatte einbringen. Themen der Diskussion könnten sein:

Wie offen können Projekte im Zugang und der Teilhabe sein, ohne ihren emanzipatorischen Anspruch zu verlieren? Wo ist ein Ausschluss notwendig und wann schließt er Menschen aus? Wie ist der Umgang mit Trittbrettfahrer_innen? Erfüllen die neueren Formen gelebter Utopie die Bedürfnisse ihrer TeilhaberInnen besser als die früheren Projektformen? Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen Freiräume für Commons schaffen? An welchen Stellen lassen sich die neuen Formen gelebter Utopien verwerten oder einbinden und welchen Beitrag leisten sie zu einer Überwindung des kapitalistischen Systems?