Dezember 2010 beginnen die Massenunruhen in Tunesien, die im Januar dieses Jahres das Staatsüberhaupt Ben Ali nach 23 Regierungsjahren in die Flucht treiben. Es folgen Unruhen in Algerien, der Aufstand in Ägypten. Auch in Libyen, Bahrain und Jemen wehrt sich die Bevölkerung gegen ihre jeweiligen autoritären Regime und fordert grundlegende demokratische Reformen und Teilhabe. Wie sind diese Umbrüche einzuordnen? Wie stehen die Chancen für einen dauerhaften emanzipativen Wandel in den Maghrebstaaten sowie im arabischen Raum? Griechenland, Portugal, Spanien -- auch hier wird seit Frühjahr massenhaft protestiert. Vor allem die Jungen und Gebildeten wehren sich gegen die Zumutungen neoliberaler Sparhaushalte und fordern grundlegende Reformen und Partizipation. Auch in Israel regen sich Sozialproteste aus der Mitte heraus. Hier sind steigende Mieten und Lebenshaltungskosten das zentrale Thema. Welche Bedeutung haben diese neuen Protestkulturen für soziale Bewegungen weltweit? Was sind die Gemeinsamkeiten in den Protesten und wo liegen Unterschiede?
Der klassische Internationalismus hat im Laufe der letzten Jahrzehnte diverse Reflexions- und Häutungsprozesse durchlaufen. Die BUKO steht in dieser Tradition des kritisch-solidarischen Umgangs mit sozialen Bewegungen weltweit. Der "Alte Internationalismus" der 1960er-1970er Jahre, in dessen Zentrum die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg stand und dem ein häufig simplifizierendes Gut-Böse-Schema zugrunde lag, wurde in Westdeutschland in den 80ern von einem "Neuen Internationalismus abgelöst. Hier wurde auf die ärgsten Irrtümer internationalistischer Solidarität (Verklärung nationaler Befreiungsbewegungen, Eurozentrismus & Paternalismus, Ausblendung komplexer Machtkonstellationen) reagiert.
Dies hat zu einem Überdenken eigener Strategien geführt - sichtbar in der damaligen Nicaragua-Solidarität oder den Kampagnen gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Einen weiteren Einschnitt gab es 1994 durch den Aufstand der Zapatistas in Mexiko, die nicht das Erringen der Staatsmacht als vorrangiges Ziel setzten, sondern sich bewusst auf die Stärkung der eigenen, nichthierarchischen Strukturen konzentrierten. Auch die Antiglobalisierungsbewegung, die mit Seattle 1999 ihren Anfang nahm, reagierte mit einer Vervielfältigung ihrer Strategien & Politikformen auf die Erfahrungen früherer Bewegungen.
Nach wie vor kämpfen rund um den Globus Menschen um politische und soziale Rechte. Angesichts der derzeitigen weltweiten Umwälzungsprozesse ist die Notwendigkeit des Austauschs und der Vernetzung gestiegen. Soziale Bewegungen sollten im besten Sinne "radikal global" sein, so lautete bereits 2003 ein von der BUKO herausgegebenes Buchs zum Stand internationalistischer Bewegungen. Im Hinblick auf den Kongress fragen wir: Was heißt radikal global heute?