Die Aufstände im Maghreb und dem Nahen Osten, die als "Arabischer Frühling" in die Geschichte eingingen, haben nicht nur die politische Situation in der Region grundlegend verändert sondern auch das von wenig Kenntnis aber vielen Vorurteilen geprägte Bild erschüttert, dass im Westen gemeinhin über die "Arabische Welt" vorherrscht. Bis zum "Arabischen Frühling" galt das Credo, arabische Gesellschaften seien politisch, ökonomisch und sozial erstarrt und nicht reif für die Demokratie. Diktatoren wie der tunesische Ben Ali oder despotische Regierungschefs wie Ägyptens Mubarak galten westlichen Politiker_innen lange als verlässliche Partner im "Kampf gegen den Terror". Die Menschen wurden und werden gemeinhin als homogene Masse wahrgenommen, die wahlweise "nur" unterdrückt ist oder fanatisch agiert und ein einheitliches, unaufgeklärtes Verhältnis zum Islam pflegt.
Asef Bayat ist Professor der Soziologie und für Nahost-Wissenschaften an der Universität von Illinois. In seinen Texten wirft er einen kenntnisreichen Blick auf die sozialen Praxen der "einfachen Leute", die mit ihren Aneignungsstrategien den Boden für die Arabellion erst geschaffen haben. Da er in seinen Analysen die sozialen und politischen Praxen vorweg nahm, die in den Aufständen zum Tragen kamen, wird er als "Prophet des Arabischen Frühlings" bezeichnet.
In dem Buch "Leben als Politik" kritisiert er die klassischen Theorien sozialer Bewegungen als ungeeignet für das Verständnis des sozialen und politischen Agierens der marginalisierten Menschen im Mittleren Osten. Insbesondere in den Armenvierteln der großen Städte entwickelten sich neue Praktiken des Alltags. "Kollektive Aktionen nicht-kollektiver Akteure" transformierten die Gesellschaften. Über zwei Jahre nach dem Beginn der Arabellion und den damit einhergehenden Umwälzungsprozessen im Nahen Osten und Maghreb ist Asef Bayat auf Lesereise in Deutschland, um seine Thesen vorzustellen und zu diskutieren.