Nach einigen ruhigen Monaten meldet sich der Widerstand gegen die neoliberale Krisenpolitik kraftvoll zurück. Am 15. September gingen in über 40 portugiesischen Städten mehr als 500.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Spar- und Kürzungsprogramme zu demonstrieren. Aktueller Anlass sind Pläne der konservativen Regierung, die Steuern weiter zu erhöhen und Privatisierungen und Entlassungen stärker zu forcieren. Daneben sollen die sozialen Versicherungssysteme stärker von den Beiträgen der Arbeiter_innen finanziert werden, während Unternehmen entlastet werden. Viele Menschen sind enttäuscht davon, dass die Regierung zuvor versprochen hatte, der Bevölkerung keine weiteren Einschnitte zuzumuten, und jetzt die Verschlechterung der Lebensverhältnisse kein Ende zu finden scheint.
Die Armut und Arbeitslosigkeit wächst und die Wirtschaftsleistung schrumpft. Selbst aus einer neoliberalen Perspektive ist das Scheitern der bisherigen Krisenpolitik nicht zu übersehen. Die Regierung kann keine konkreten Auswege aus der Krise anbieten. In einer frappierenden Ähnlichkeit zu den Märzprotesten 2011 entwickelt sich aus dem Massenprotest eine politische Krise. Der kleinere Koalitionspartner, die rechtskonservative CDS-PP, kritisierte die zusätzlichen Austeritätsmaßnahmen, um sich für die nächsten Wahlen als die sozialere der beiden konservativen Parteien aufzustellen. Auch wenn diese verbale Distanzierung vorerst keine politischen Folgen beinhaltet und es zu erwarten ist, dass die CDS-PP bei den Abstimmungen im Parlament letztlich den Maßnahmen zustimmen wird, ist die Koalitionskrise nicht zu übersehen. Erst durch eine Intervention des Staatspräsidenten, der beide konservativen Parteien zur Räson rief, konnte die Koalition vorerst bestehen bleiben. Durch den Druck der Proteste hat die Regierung einige der letzten Austeritätsmaßnahmen indes zurückgenommen, so etwa die Umstellung der sozialen Versicherungssysteme.
Die Proteste gehen indes in den nächsten Wochen weiter. Die Gewerkschaften mobilisieren ebenfalls für Proteste: Am 29. September mobilisierte der kommunistische Gewerkschaftsverband CGTP zu einer zentralen Demonstration, an der hunderttausende Menschen teilgenommen haben. Die Demonstration fand zeitgleich mit Protesten in vielen europäischen Ländern statt, so etwa in Spanien und Deutschland. Die CGTP hat für den 5. bis 13. Oktober ein Sternmarsch quer durch Portugal angesetzt, der sich in der Hauptstadt treffen wird. Einen Generalstreik hat der Gewerkschaftsverband für die nächste Zeit angekündigt.
Ismail Küpeli, aktiv in der BUKO, lebt derzeit in Porto und Duisburg. Im März 2012 hat er im BUKO-Seminar "Neoliberale Krisenbewältigung und soziale Kämpfe an der ,europäischen Peripherie" einen Input zu Portugal gegeben.
Weitere Berichte zu den Massenprotesten:
http://www.tagesschau.de/ausland/demonstrationen-portugal-spanien100.html
Die Bochumer Stadt- & Studierendenzeitung bsz war in Portugal und hat eine Sonderzeitung zu den Protesten erstellt, die hier als pdf einsehbar ist:
http://bszonline.de/index.php?option=com_docman&task=doc_download&gid=215&Itemid=106