Quelle: https://www.cafe-libertad.de/bewaffneter-angriff-auf-zapatistische-kooperative
Die zapatistische Kaffeekooperative Yochin Tayel Kinal hat uns in der Nacht zum 1. Mai berichtet, dass in den Tagen zuvor ihr Lager in Altamirano, Chiapas, von Paramilitärs überfallen worden ist. Die Eingangstür des Lagers, in dem auch Rohkaffee weiterverarbeitet wird, wurde aufgebrochen und es wurde in den Räumen geschossen. Die Compas konnten hinter Kaffeesäcken in Deckung gehen und flüchten. Der bewaffnete Angriff auf die Ernte von Kleinbäuer*innen und eine gemeinschaftliche Produktionsstätte der indigenen Gemeinde ist ein weiterer Ausdruck der zunehmenden Eskalation in Südmexiko. Umso wichtiger ist die Solidarität und direkte Unterstützung der neuen zapatistischen Selbstverwaltungsstrukturen und Autonomie
Militarisierung und Landkonflikte in Südmexiko
Schon seit längerem gibt es in Südmexiko bewaffnete Angriffe von paramilitärischen Gruppen auf zapatistische Gemeinden und die Gewalt nimmt insgesamt zu. Menschenrechtsorganisationen wie Frayba und der Indigene Kongress CNI sprechen inzwischen von einem Krieg gegen die indigene Bevölkerung, der von der Regierung befördert und unterstützt wird, um Proteste und Widerstände gegen Megaprojekte zu brechen und lokale Selbstverwaltungsstrukturen von Gemeinden zu zerschlagen.
Gerade durch Megaprojekte wie Tren Maya haben Drogenkartelle und militärische Strukturen in der Region massiv an Präsenz gewonnen. Der Regenwald auf der Halbinsel Yucatán soll touristisch, für Bergbauprojekte und die Industrie erschlossen werden. Für die Infrastruktur werden Schneisen der Verwüstung mittels Rodung durch die Ökosysteme geschlagen. Es herrscht „Goldgräberstimmung“, während staatliche Repression gegen Umweltschützer*innen, Korruption und bewaffnete Aktivitäten sowie Morde gleichzeitig stark zunehmen.
Ein faktisches Netzwerk aus etablierter Politik, organisierter Kriminalität und paramilitärischen Verbänden etabliert in Südmexiko ein Klima der Gewalt. Errungenschaften der indigenen Aufstände und lokalen Selbstverwaltung wie Schulen, die Wasserversorgung oder Gemeindezentren stehen im Fokus der Angriffe. Hintergrund sind Landkonflikte, die durch neue Gesetze der mexikanischen Regierung befördert werden.
Die neuen Gesetze schaffen die Grundlage für die Privatisierung von Anbauflächen. Unter anderem im Gewand von Öko- und Sozialprogrammen werden traditionell gemeinschaftliche Flächen privatisiert und einer kommerziellen Erschließung zugeführt. Ist ein Land – als Voraussetzung für die Teilnahme an den Programmen – erstmal für eine Partei eingetragen, kann es anschließend auch von Investor*innen erworben werden. Diese Entwicklung droht, die begonnene Landverteilung im Zuge der nie vollendeten Revolution um Land und Freiheit Anfang des 20. Jahrhunderts historisch zurückzudrehen.
Europäische Politik verschärft Konflikte
Die EU sanktioniert die Angriffe auf indigene Gemeinden und die Zerstörungen des Regenwaldes nicht, sondern befördert diese und profitiert mit. Durch Handelsabkommen werden günstige Rahmenbedingungen für den Einstieg von deutschen und europäischen Investor*innen und Konzerne geschaffen. Gleichzeitig werden Gesetze wie die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten erlassen, welche zwar postulieren, indigene Gemeinden schützen zu wollen, sich in ihrer Ausformulierung und praktischen Konsequenz aber gegen sie richten.
Dieses ‚Regenwaldschutzgesetz‘ verlangt von Kleinbäuer*innen eine Geo-Kartierung ihrer Landflächen, damit Rohkaffee in Zukunft überhaupt noch in die EU importiert werden darf. Durch den Vergleich von Satellitenbildern soll dabei ausgeschlossen werden, dass Regenwaldflächen für Plantagenwirtschaft abgeholzt werden. Die Idee stammt aus der Kontrolle der Holzindustrie, ist aber auf die Realitäten kleinbäuerlicher, indigener Produktionsformen kaum zu übertragen.
Kaffeeanbau findet bei indigenen Gemeinden nicht als Plantagenwirtschaft, sondern häufig traditionell als diversifizierter Anbau unter Schattenbäumen im Sekundärregenwald statt. Gleichzeitig sind Landflächen oft gemeinschaftlich genutzte Flächen. Durch Privatisierung und die Durchsetzung von Techniken wie der Geokartierung sowie daraus hervorgehenden Handelsregulierungen werden die Rahmenbedingung für einen Zugriff auf das Land und seine Vergoldung durch die korrupte Politik, Drogenkartelle, Investoren und multinationale Konzerne massiv ausgeweitet oder überhaupt erst geschaffen.
In den mexikanischen Realitäten wird der Regenwald durch die EU nicht geschützt. Stattdessen werden durch ihre Politik und Gesetzgebung nachhaltige Anbauweisen und zivilgesellschaftliche Strukturen angegriffen, stattdessen Landkonflikte, Raubbau und Konzerninteressen befördert. Haben sich die europäischen Institutionen, als sie die Verordnung zur Entwaldungsfreiheit entworfen haben, eigentlich gefragt, wie viele Bäume für die Tren Maya-Eisenbahn gefällt worden sind? Und welchen Anteil Unternehmen, wie die deutsche Bahn an diesen Zerstörungen haben und wie diese sanktioniert werden können? Als Café Libertad Kollektiv werden wir möglichst zeitnah ein Positionspapier veröffentlichen, das unsere Kritik an der Regenwaldverordnung der EU verdeutlicht.
Indigene Perspektiven statt neokolonialer Regulierung
Die Zapatistas haben auch als Reaktion auf den sich ausweitenden Krieg in Chiapas ihre bisherigen Selbstverwaltungsstrukturen aufgelöst und neue basisorientiertere Autonomiestrukturen geschaffen. Als Antwort auf die zunehmenden Landkonflikte haben sie zudem erklärt, künftig in den Gemeinden verstärkt für gemeinschaftlich genutzte Landflächen zu werben und diese in freier Übereinkunft als Nicht-Eigentum zu bewirtschaften. In Europa waren solche Formen des Gemeinschaftseigentums als Allmende bekannt und weit verbreitet. Sie wurden mit dem Aufkommen des Kapitalismus und in Folge der Industrialisierung weitgehend in bürgerliche Besitzverhältnisse umgewandelt.
Auch die aktuellen EU-Gesetze richten sich, gerade auch im Abgleich mit den mexikanischen Realitäten, gegen solche Formen des gemeinschaftlichen Anbaus. Eigentumstitel und rechtliche Verordnungen für die kapitalistische Erschließung von „Bodenschätzen“ schaffen kein besseres Klima, keinen nachhaltigen Anbau und keinen Regenwaldschutz. Sie sind eingebunden in eine neokoloniale Politik, der es vor allem um die Sicherung europäischer Interessen und Ziele im internationalen Wettbewerb geht und zugleich Konflikte im globalen Süden befördert.
Die illegale Abholzung muss vor Ort gestoppt werden. Bei dem Kampf gegen die Zerstörung von Naturräumen werden indigene Gemeinden allein gelassen. Die Zapatistas und andere indigene Gemeinden versuchen seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur zu leben. Sie sind die Ersten, die auf die Natur und den Schutz des Regenwaldes achten. Ein wirksamen Vorgehen sollte sich gegen die korrupte Politik und multinationale Unternehmen richten, welche die Umwelt zerstören und Menschenrechte verletzen. Im Kaffeehandel dominieren nach wie vor wenige große Konzerne wie Nestlé oder die Gruppe Neumann das Geschehen. Deren Marktmacht wird mit der neuen EU-Verordnung gestärkt, da die Organisierung in kleinbäuerlicher Kooperativen durch eurozentristische Standards erschwert wird.
Wir setzen statt auf interessengeleitete Verordnungen und Lobbypolitik auf die Stärkung indigener Produzent*innen und ihrer selbstorganisierten Zusammenschlüsse sowie auf die Solidarität mit Umweltaktivist*innen. Statt auf bürokratischen Zentralismus und ihn umsetzende Organisationen setzen wir auf den Widerstand und die Erfahrungen vor Ort. Indigene Gemeinschaften bringen dabei ein eigenes Verständnis von Nachhaltigkeit und vielfältiges Wissen mit, die gehört und als autonome Praxis verteidigt werden müssen.
Zapata vive!
Café Libertad Kollektiv, 2. Mai 2024