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Antirassismus

Dichotomien sprengen - decolonize!

Die Spuren des Kolonialismus prägen unsere gesellschaftlichen Verhältnisse bis heute. Nach wie vor maßen sich die westlich-industrialisierten Länder an, den Rest der Welt zu erklären, zu kategorisieren und zu bestimmen. Die ökonomische Ausbeutung, politische Dominanz und die Kontrolle der Länder des globalen Südens sind verflochten mit der Produktion gesellschaftlicher Diskurse. Diese bedienen sich der Muster kolonialer Differenzproduktion und generieren immer neue Vorstellungen von "uns" und "den Anderen". "Die Anderen" sind dabei stets diejenigen, die definiert werden und über die gesprochen wird. Gleichzeitig festigt sich durch die Abgrenzung von "den Anderen" die Vorstellung von einer vermeintlich homogenen und überlegenen weißen Norm-Gesellschaft.


"Die Anderen" tauchen auf in Statistiken über "illegale Einwanderung", in Debatten über Leitkultur und Integration. Die politischen Positionen, die Forderungen und Bedürfnisse der Menschen, die als "Andere" markiert und marginalisiert werden, bleiben jedoch in vielen relevanten Diskursen unsichtbar. Die Begriffe ändern sich, doch Rassismus bleibt eine Konstante des gesellschaftlichen Lebens. Auch im Jahre 2013 sind Herkunft und Hautfarbe bedeutende Faktoren, die über gesellschaftlichen Ausschluss entscheiden. Doch die globalen Herrschaftsverhältnisse bleiben, ebenso wie die brutalen rassistischen Praktiken hierzulande, nicht unwidersprochen. Die Risse in den Grenzziehungen entstehen in antirassistischen Kämpfen und Widerstandsstrategien.


Durch einen Protestmarsch quer durch Deutschland nach Berlin und die anhaltende Besetzung der Votivkirche in Wien tragen Flüchtlinge ihre Forderungen u.a. nach Abschaffung von Lagerunterbringung und gegen die ständig drohenden Abschiebungen lautstark auf die Straße. Parallel rückt die Kampagne gegen racial profiling, die u.a. durch die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) initiiert wurde, die Alltäglichkeit rassistischer Polizeipraktiken wieder in den Fokus. Diese Proteste reihen sich ein in eine lange Geschichte von Kämpfen gegen den rassistischen Normalzustand.


Und sie treffen den Puls der Zeit. Selten zeigten sich die Folgen des institutionellen Rassismus so deutlich wie in den letzten Monaten. Während der jahrelang verschleppten Ermittlungen der Sicherheitsbehörden zu den rassistisch motivierten NSU-Morden waren die Angehörigen der Opfer mit einer Ermittlungspraxis konfrontiert, die die Opfer zu Tätern erklärte. Die Ermittlungsbehörden warfen den Opfern die Verwicklung in kriminelle Machenschaften vor und suchten folglich in deren sozialen Umfeldern nach den Tätern. Aber die Empörung, die angesichts dieser Realitäten durch die Öffentlichkeit gehen müsste, bleibt aus. Die ganze gesellschaftliche Breite rassistischer Denkmuster zeigte sich erst kürzlich wieder bei der öffentlichen Debatte über die Sprache in Kinderbüchern. Die Ankündigung der Verlage Oetinger und Thienemann, zukünftig rassistische Begriffe in Kinderbüchern abzuändern, löste einen empörten "Zensur!"-Aufschrei aus.


Postkoloniale Theorieansätze haben in diesem Zusammenhang vermehrt auf das Fortbestehen kolonialer Bilder und Denkfiguren hingewiesen. Die Produktion von Differenz und binäre Vorstellungen von "uns" und "den Anderen" waren zentrale Grundlage des Kolonialismus und schreiben sich in aktuelle Auseinandersetzungen ein. Diese Grenzziehungen sind aber eben nicht statisch, sondern stets umkämpft. Eine postkoloniale Perspektive versucht diese Kämpfe und Grenzüberschreitungen in den Blick zu nehmen.


Ein Ziel postkolonialer Kritik ist es, aufzuzeigen, dass der Kolonialismus auch in den kolonisierenden Gesellschaften bis heute deutliche Spuren hinterlassen hat. Dazu gehört der Rassismus in den Köpfen, dazu gehören auch Straßen, die nach Kolonialverbrechern benannt sind, die Selbstverständlichkeit von "Mohren"-Apotheken und Museumsbestände hierzulande, die oftmals auf koloniale Raubzüge zurückgehen. Die alltägliche Präsenz rassistischer und (post-)kolonialer Strukturen ist Anlass für viele Formen des Protestes und antirassistischer Interventionen. Die damit verbundenen Fragen und Widersprüche gilt es immer wieder neu in den Blick zu nehmen und gemeinsam zu diskutieren.


Wie kann ein Ausbrechen, ein Desertieren aus diesen Denkmustern funktionieren, wenn Identitäten der weißen Dominanzgesellschaft immer auch in Abgrenzung zu "den Anderen" bestimmt werden? Wer spricht für wen und wer wird gehört? Was bedeutet Solidarität in einer rassistischen Gesellschaft? Wie können gemeinsame Kämpfe aussehen?