Text zur AG "Linke zwischen Multitude und radikalem Reformismus" im Rahmen des Forum I
Wolkenkuckucksheim der Linken
Über Aneignung und einige Schleichwege ins soziale Europa
Was könnte man in diesen Zeiten Besseres tun, als das Ende der
Bescheidenheit auszurufen und über Aneig-nung zu diskutieren? Immer wieder
verpflichten sich Linke mit dem monotonen Hinweis auf die ungünstigen
Kräfteverhältnisse zum Backen kleiner Brötchen: Antifaschistisch gestimmt
das Schlimmste verhindern wollen und dabei der Demokratie in die Arme
laufen, die abgetakelten Gewerkschaften verteidigen, nach Feierabend noch
geschwind ein paar „Diskurse verschieben“. Das Reden über Aneignung
dagegen erinnert an den verrückten Zustand, daß der aufgehäufte Reichtum
nicht zu unserem allseitigen Vergnügen da ist, wie es sich gehört, sondern
umgekehrt wir als eigentumslose Klasse zur Produktion von Kapital
verflucht sind, um uns in den Besitz einiger popeliger Lebensmittel zu
bringen. Die viel geschmähte und selten kritisierte Arbeiterbewegung hatte
sich daher, bevor sie sozialdemokratisch auf den Hund kam, die
Expropriation der
Expropriateure auf die Fahnen geschrieben. Auch heute gilt es, dem Kapital
– ob Aktiengesellschaft oder Privateigentümer ist egal – die
Produktionsmittel wegzunehmen. Aneignung müßte aber zugleich das Pro-gramm
der etatistischen Arbeiterbewegung hinter sich lassen, deren Sozialismus
bloß die Fortsetzung des Kapitalverhältnisses mit staatlichen Mitteln war.
Das Ende der Bescheidenheit kann nur heißen, die Über-windung der
Warenproduktion, also der Lohnarbeit und des Geldes, und ihres bewaffneten
Hüters respektive Organisators, des Staates, anzustreben –
selbstverständlich nicht als Sofortprogramm, aber als Richtschnur, um über
Praxis hier und jetzt überhaupt vernünftig reden zu können. Dann weiß man
immerhin, wovon man meilenweit entfernt ist.
Postmoderne und Langeweile
Die derzeit ausufernde Diskussion um Aneignung bewegt sich nur selten in
diese Richtung, etwa wenn das Verhältnis besetzter Fabriken in Argentinien
zur breiteren Bewegung untersucht wird, die allein ihnen da †????????a??s Schicksal der
Selbstverwaltung der Misere ersparen könnte, oder darüber debattiert wird,
daß die populären Umsonst-Kampagnen zwar potentiell eine Kritik der
Warenform enthalten, aber zwangsläufig in die Zirkula-tionssphäre gebannt
bleiben. Ansonsten aber wird der Begriff der Aneignung jeglichen Gehalts
beraubt, weil sich nahezu jede offenbar irgend etwas aneignet. So wird
nicht nur die von den desaströsen Verhältnissen erzwungene Migration als
Akt der Aneignung dargestellt. Auch eine linke Konferenz wie der Buko ist
be-reits Aneignung, während sich andere den öffentlichen Raum zum
Tischtennisspielen oder Biertrinken an-eignen, wie die vollends in der
Postmoderne angekommene Zeitschrift Arranca berichtet. Statt die Kritik
des Alltagslebens
voranzutreiben, werden beliebige Freizeitaktivitäten zur offensiven Praxis
aufgeblasen. Was vermutlich gerade „spannend“, weil vielfältig und
lebensnah, sein soll, verbreitet in seiner buchstäblichen Gleichgültigkeit
am Ende nur Langeweile. Auch wo nicht von „Mikropolitiken“,
„Singularitäten“ und „Mul-titudes“ schwadroniert wird, scheint die
Postmoderne die spontane Ideologie einer Linken zu sein, die nicht mehr
von der universellen Klasse sprechen mag und schon gar nicht von der
Revolution. Kein Wunder, daß sie sich Intellektuelle zu ihren
Vorzeige-Theoretikern wählt, die entweder vor „abstrakter
Revolutionsmeta-physik“ (Joachim Hirsch) warnen, oder aber die Revolution
kurzerhand überflüssig finden: „Wir leben schon im Kommunismus.“ (Toni
Negri)
Wir basteln uns einen Sozialstaat
Die Star-Theoretiker der Linken könnten gegensätzlicher nicht erscheinen.
Auf der einen Seite steht der „radikale Reformismus“ eines Hirsch, der die
Menschen nur als Opfer von „Neoliberalismus“ und „Globali-sierung“
wahrnimmt, auf der anderen der Post-Operaist Negri, dessen Triumphalismus
schier grenzenlos ist und im Delirium mündet. Hier ein dröger
Politologen-Marxismus, dort überschäumende Lyrik über die „Multitude“.
Doch in trauter Eintracht arbeiten sie am Brückenschlag zwischen
Bewegungen und Staat, wo dieser nicht ohnehin längst erfolgt ist, indem
sie die politische Flankierung der Ausbeutungsverhältnisse mitgestalten
wollen. So wird der Aneignungsbegriff von Negri und Hirsch auf ein neues
Sozialstaatsmodell hingebogen. Daß der Sozialstaat in seiner bisherigen
Form nicht zu retten ist und ohnehin nicht das Schlaraf-fenland war, ist
links von den Gewerkschaften inzwischen ein Gemeinplatz, der jedoch nur als Einladung
verstanden wird, ein Nachfolgeprojekt auszubrüten.
Radikale Rhetorik und konformistischer Gehalt gehen dabei eine merkwürdige
Verbindung ein. So kündigt Hirsch zunächst an, „den traditionellen
Staatsreformismus überschreiten“ und sich „über eine grund-sätzlich andere
Einrichtung der Gesellschaft“ Gedanken machen zu wollen, gar das „Denken
in den Katego-rien der ‚Waren- und Arbeitsgesellschaft’“ hinter sich zu
lassen. Das Resultat dieser gemeinsamen Bemü-hungen mit der Arbeitsgruppe
Linksnetz entpuppt sich dann als minutiöses Konzept für eine
steuerfinanzier-te „soziale Infrastruktur“. Nachdem man jahrzehntelang an
materialistischer Staatstheorie gearbeitet hat, schreibt man nun
weitschweifige Konzepte für eine Regierung, die nie danach gefragt hat,
weil sie um die vollständige Nutzlosigkeit solcher Elaborate weiß.
„Lohnarbeit wird es nach wie vor geben“, erläutert man nach Verabschiedung
der „Waren- und Arbeitsgesellschaft“, aber sie wird „vernünftigere und menschlichere
Formen annehmen“. Die gute Nachricht: „Eine Re-Regulierung der
Weltwirtschaft steht angesichts ihrer immer deutlicher werdenden
Krisenhaftigkeit ohnehin auf der Tagesordnung“, erläutert Hirsch in der
Arran-ca seine „neue Politik des Sozialen“, und „größere Wirtschaftsräume
wie z.B. die Europäische Union“ sind „durchaus in der Lage, eigene Wege zu
gehen.“
Was hier noch vorsichtig angedeutet wird, posaunen Negri und sein
Mitstreiter Hardt laut heraus. Nachdem sie „die nicht zu unterdrückende
Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein“ entdeckt haben, wittern sie
nun Morgenluft für einen europäischen Gegen-Block zum Unilateralismus der
USA, in den sich die sozialen Bewegungen einbringen sollen: „Für die
Gesellschaft in Europa ist, ... auch die aktuelle Verfas-sungsdebatte
zeigt das, Solidarität eine im Alltagsverstand verankerte politische
Selbstverständlichkeit, die im Gegensatz zum radikalen Neoliberalismus der
Pläne für ein amerikanisches Empire steht. In der biopoliti-schen
Kooperation in Europa finden ferner Qualitäten und Werte ihren Ausdruck,
die dem Anspruch, die Gesellschaft monokratisch zu regieren, opponieren.“
Nachdem bereits die Friedensbewegung des letzten Jahres, die auch der Buko
unkritisch als Hoffnungsschimmer deutet, dem europäischen Projekt zum
ge-wünschten moralischen Surplus verholfen hat, soll nun der Widerstand
gegen die immer mieseren Arbeits-verhältnisse der Fata Morgana des
„sozialen Europa“ hinterher hecheln.
Dieser unverfrorene Vorschlag kommt nicht allzu überraschend, da die
Forderungen von Negri und Hardt generell den Boden der kapitalistischen
Rationalität nicht verlassen. Schließlich muß man in der Post-moderne
immanent bleiben und entdeckt die Ontologie als neue Methode um sich mit
den Fortschritten des Kapitalismus zu versöhnen. Die neue Gestalt des
Kapitalismus, die durch Kommunikation und Kooperation das alte
fordistische Modell abgelöst habe, weist bereits den Weg in die
gemeinschaftliche Produktion des Seins - was die postmoderne Terminologie
für Kommunismus als Lebensphilosophie ist. Gleichzeitig fassen Negri/Hardt
den politischen Gehalt ihres Werkes noch einmal in der Forderung des
Rechts auf Weltbürger-schaft, sozialen Lohn und Wiederaneignung zusammen. Spätestens
hier werden die Parallelen zum radikalen Reformismus à la Hirsch
offensichtlich. Schließlich handelt es sich absichtsvoll um Forderungen,
die ver-meintlich nur die rechtliche Anerkennung eines bereits
existierenden ökonomischen Verhältnisse einklagen wollen. Kommunismus wird
damit zu einer Suche nach Gemeinsamkeiten im Hier und Jetzt, die das
Beste-hende nicht negieren, sondern produktiv sein will. Die Multitude ist
eine konstruktive Kraft. Wenn der starke Arm der Multitude es will, stehen
die Räder/Kommunikationsnetze nie mehr still.
Aneignung, so verstanden, ist alles andere als der Fluchtpunkt, der aus
den Staatsbürgerphantasien vom Existenzgeld herausführen könnte:
„Linksradikale Kämpfe um Aneignungsweisen können auch dort ansetzen, wo
eine linksliberale Öffentlichkeit schon längst nicht mehr interveniert:
bei einem sozialen Leben jenseits der Arbeitskraftverwertung und, als
dessen politische Voraussetzung, bei der Verankerung sozialer Rechte,
kurz: bei der
Entkopplung von Lohnarbeit und Existenzsicherung im Sinne eines
arbeitszwangfreien Existenzgeldes.“ (Arranca) Das klingt natürlich viel
konkreter und realistischer als die Überwindung der Warenproduktion. Dabei
sein ist alles, wenn es darum geht „linksradikale Politik als legitimen
Teil eines sich formierenden, breiteren gesellschaftlichen Widerstands zu
präsentieren.“ (Arranca) Die Legitimation erfolgt durch die Beteiligung an
einer windschiefen Diskussion, in der die Fehlinterpretation des alten
Sozialstaates der Illusion über den neuen den Weg bereitet: Wann hat
jemals eine linksliberale Öffentlichkeit die Arbeits-kraftverwertung
angekratzt? Und wieso sollte der Staat ein Recht auf Faulheit verankern,
wenn die ihm zugrundeliegende Produktionsweise das glatte Gegenteil zur
Voraussetzung hat? Solange Linken angesichts der gegenwärtigen
Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen nichts Besseres einfällt, als vom nun aber wirklich
sozialen Staat zu träumen, sollten sie wenigstens nicht das Ende der
Bescheidenheit ausrufen.
|