Freitag, 21 Mai, 11:45 - 13:15 Uhr

Auftakt Forum II:
Von der Privatisierungskritik zur Kapitalismuskritik

Mit dem Zusammenbruch der ehemaligen "realsozialistischen" Staaten Osteuropas und dem fortschreitenden Zerfall der politischen Rahmenbedingungen, die es einigen Trikontstaaten erlaubten, geschützte Wirtschaftsräume aufrecht zu erhalten, erhält die neoliberale Ideologie scheinbar universale Gültigkeit. Sichtbarer Ausdruck des neuen Status Quo sind die umfangreichen Privatisierungen ehemals öffentlicher Einrichtungen und Güter zum Zweck der "Inwertsetzung", die bislang aus dem kapitalistischen Verwertungsprozess ausgeschlossen waren.
Mit der Schaffung neuer Anlagemöglichkeiten folgen Privatisierungen dem ökonomischen "Sachzwang", den die kapitalistische Notwendigkeit nach steter Ausweitung erzeugt. Mit der marktwirtschaftlichen Durchdringung weiterer gesellschaftlicher Räume wird jedoch gleichzeitig eine (globale) Enteignungsökonomie fortgeführt. Diese Ausweitung vollzieht sich einerseits geografisch, wobei die bislang umfangreichsten Privatisierungen in den osteuropäischen Staaten durchgesetzt wurden. Andererseits wirkt dieser Prozess auch in die Gesellschaften hinein. Im Zuge der Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen, von Infrastruktur und Produktionsanlagen werden staatliche soziale Rechte, die den Zugang zu bestimmten Gütern und Dienstleistungen garantierten, durch das Recht auf deren Kauf ersetzt.
Wenngleich Widerstandsaktionen - vor allem im Trikont - bestimmte Privatisierungsvorhaben verhindern konnten, ist die Gegenwehr schon angesichts der Quantität der Privatisierungen gering und zumeist von defensivem Charakter. Hinzu kommen Widerstandsbedingungen, die eine Radikalisierung erschweren. Zum einen erscheint nicht nur das Bild von der alternativlosen kapitalistische Produktionsweise hegemonial geworden zu sein. Auch zentrale neoliberale Ideologien (Effizenz, wirtschaftliche Nachhaltigkeit ...) sind zumindest in den Metrolpolen bis in gewerkschaftliche Kreise hinein durchgesetzt. Zudem werden bestimmte negative Auswirkungen durch rassistische und sexistische Arbeitsteilung abgefedert und dadurch der öffentlichen Wahrnehmung entzogen. Und schließlich schränkt die Affimierung des bürgerlichen Staates, der – bisher Garant sozialer Rechte - von Teilen der globalisierungskritischen Bewegungen zu einem Gegenpol zur privatwirtschaftlichen Vergesellschaftung stilisiert wird, die Möglichkeiten zur Radikalisierung deutlich ein.
Dabei ist der positive Bezug auf den kapitalistischen Sozialstaat – je nach konkreter Sozialgeschichte einzelner Länder – mit unterschiedlichen politischen Ideologien verknüpft. In den Metropolen ist dabei die Gefahr einer reaktionären Bezugnahme immer präsent. Schon allein weil sich weltweite Dominanzverhältnisse auch darin ausdrücken, dass die kapitalistischen Zentren in der Lage sind, soziale Forderungen chauvinistisch zu befriedigen, d.h. über Repression und Krisenabwälzung nach "Außen" – eine Option, die in der Expansionsgeschichte des Kapitalismus permanent gewählt wurde und wird.
Es ist in mehrfacher Hinsicht von Nöten, auch bei der Entwicklung von Widerstandsperspektiven gegen Privatisierungen und der damit verbundenen Verteidigung sozialer Rechte, die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Negation des bürgerlichen Staates sichtbar zu machen. D.h., anstelle der bloßen Rückkehr zu den staatlich garantierten Rechten deren progressive Aufhebung durch "gesellschaftlich garantierte Rechte" zu thematisieren. (Dies schließt jedoch eine kritische Überprüfung jener linksradikaler Ansätze mit ein, die sich darin erschöpfen, kapitalistische "Gesellschaftlichkeit" mit dem Propagieren individuell abgesicherter, präkerer sozialer Nischen zu negieren.)
Die Bedeutung einer solchen radikalen Kritik wird auch dadurch nicht geschmälert, dass die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse "praktische" Gegenentwürfe immer beschränken werden und der bürgerliche Staat als die einzig realistische Möglichkeit anzusehen ist, die Befriedigung sozialer Bedürfnisse auf gesellschaftlicher Ebene zu garantieren - und die Forderung nach einer gesellschaftlichen Garantie sozialer Rechte sich erst dann einlösen lässt, wenn nicht nur der bürgerliche Staat, sondern auch das ihm zugrunde liegende Produktionsverhältnis beseitigt würden.
Im Gegenteil: das theoretische wie praktisch-bewusste Infragestellen der Normen warenförmiger Bedürfnisbefriedigung, d.h. die gesellschaftliche Aneigung materieller und ideeller "Lebensmittel" jenseits der Logik von Markt und kapitalistischem Wohlfahrtsstaat, kann eine Möglichkeit sein, auch die Infragestellung der Produktionsverhältnisse selbst praktisch werden zu lassen. Obgleich die Proteste gegen Privatisierungen spontan nicht über die Logik des bürgerlichen Sozialstaates hinauszuweisen scheinen, birgt der Gegenstand des Protestes ein bedeutendes Potenzial. Schließlich spricht ja einiges dafür, Proteste, die sich u.a. gegen die Umwandlung öffentlicher Güter in Waren wenden, dazu zu nutzen, die Warenform als solche zu kritisieren.

Arbeitsgruppe "Privatisierung" im Ökumenischen Büro München