Freitag, 21. Mai, 15:00 - 18:00 Uhr (evtl. Fortsetzung am Samstag)

Zusätzliche AG

Aneignung von linker Geschichte – Wozu und vor allem wie?

These: Die akademische Geschichtsschreibung ist mit Geschlechter-, Alltags- und Mentalitätengeschichte innovativer als die Geschichtsschreibung über die/aus der Linken und den neuen sozialen Bewegungen.

Die Geschichtsschreibung der (radikalen) Linken steht heute noch veraltet dort, wo Sozialgeschichte und die Geschichte der Arbeiterbewegung vor 25 Jahren stand: Vor der Neuerung durch die Alltagsgeschichte und die oral history. Die vorliegenden Beiträge zur Geschichte der radikalen Linken handeln ereignis- und politikgeschichtlich die großen Debatten, die Zeitschriften, Demonstrationen und Kampagnen ab, der (langweilige?) Alltag taucht kaum auf.
Es ist höchste Zeit, das Defizit der link(sradikal)en Geschichtsschreibung aufzuheben, sich von der tendenziell patriarchalen Ereignis- und Politikgeschichte zu verabschieden und eine Alltagsgeschichte der link(sradikal)en Bewegungen in verschiedenen Regionen zu schreiben, biographische Interviews als Quellen zu entdecken und so z.B. die individuell-kollektiven Sozialisationsverläufe, Deutungsmuster und Motivationen zu erforschen.
Die Geschichte(n) der radikalen Linken in diesem Sinne sind erst noch zu schreiben.


Einige Ursachen für Geschichtslosigkeit
Die Geschichtslosigkeit resultiert aus:

  • dem Selbstverständnis undogmatisch-link(sradikal)er Praxis, das vor allem von Spontaneität geprägt ist, geplante, strategische Politik sowie festere Organisationsformen lange Zeit ablehnte und Theorie (und damit auch Geschichte) vor allem als Legitimation der eigenen Praxis verstand.
  • der Tatsache dass die allermeisten linken oder sozialen Bewegungen in erster Linie Jugendbewegungen sind und so für die einzelnen Akteure nur einen biographischen Abschnitt darstellen (der später oftmals kaschiert werden soll)
  • der Quellenlage: Schriftliche Quellen sind auch bei den Linken und in den sozialen Bewegungen diejenigen, die am einfachsten zu erschliessens sind und denen auch die größte Wichtigkeit zugesprochen wird. Diskurse sind später am leichtesten in ihrer verschriftlichten Form nachzuvollziehen. Diese Quellenlage ergibt aber unter Umständen ein schiefes Bild.

Zusammengefasst: Ein kollektives Gedächtnis, das sich in aktuelle politische Debatten einbringt und sie weiterbringt, kann sich nur schwerlich bilden.


Gegenstrategien
Bei aller Kritik darf nicht vergessen werden: Vieles ist auch schon erreicht worden: Bücher, Dokumentationen, Autobiografien, Dutzende von Bewegungsarchiven sind vorhanden. Kooperation, Dialog und Aufmerksamkeit sind weiterhin notwendig. Aber Rahmenbedingungen beachten: ökonomisches Berufsverbot für viele linke Geschichtsinteressierte da Zwang zur Arbeit Ressourcen abschneidet.

Form der AG:

Die Veranstaltung beginnt mit einem kurzen Input und möchte den Sichtweisen der TeilnehmerInnen viel Platz bieten. Vertiefende Fragen könnten sein, welche Formen von Geschichtsaneignung wünschenswert und möglich sind. Es werden Beispiele aus einigen linken Geschichtsbücher vorgestellt.

Achtung: Eine Fortsetzung am Samstag ist bei Bedarf möglich.

Linktipp: neues Netzwerk kritischer GeschichtsaktivistInnen www.kritische-geschichte.de

mit:
Bernd Hüttner, Diplom-Politologe und Hausmann. Ende 1999 Gründer des Archivs der sozialen Bewegungen Bremen (www.archivbremen.de). War unbezahlter Redakteur bei „Neues Nebelhorn – Regionalmagazin für Konstanz und Umgebung“ und „alaska. Zeitschrift für Internationalismus“ in Bremen (1996-2000). Veröffentlichte 2003 „Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen und ihre Bestände, AG SPAK Verlag (www.leibi.de/archive).
Gottfried Oy ist freiberuflicher Journalist. Er war Redakteur bei der Zeitschrift links des Sozialistischen Büros und beim 2002 eingestellten Internetmagazin com.une.farce (www.copyriot.com/unefarce). Er veröffentlichte 2001 das Buch „Die Gemeinschaft der Lüge. Medien- und Öffentlichkeitskritik sozialer Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland“ (Münster).