Samstag, 22. Mai, 10:00 - 13:00 Uhr

Aneignung und Klassenpolitik

„Aneignung“ scheint das neue bündnisfähige Projekt der antikapitalistischen Linken zu sein. Die eigenen Bedürfnisse sollen gegen den Markt zur Geltung gebracht werden, die Privatisierung öffentlicher Güter thematisiert werden, Erfahrungen von Regelverletzungen sollen Politisierungseffekte ermöglichen.

Aber berührt der „Aneignungs-Ansatz“ die zentralen Aspekte von Kapitalismus? Kann damit thematisiert werden, wie die Waren produziert werden, die wir uns aneignen wollen? Die kapitalistische Gesellschaft existiert nicht einfach als „ungeheure Warensammlung“, sie basiert auf der privaten Aneignung des Mehrwerts und auf Klassenspaltung. Wir suchen nach Wegen, das im Zusammenhang von Aneignungspolitik zu thematisieren.

Jede Politik der Aneignung muss zunächst von der kapitalistischen Aneignung ausgehen, die sich durch Arbeitsprozesse vollzieht. Der Kapitalismus „revolutioniert“ sich permanent – derzeit unter den Namen Globalisierung und Neoliberalismus. Durch Privatisierung, Deregulierung des Arbeitsmarkts und Prekarisierung werden soziale Standards und öffentliche Güter "enteignet" - verbunden mit der Kapitalisierung neuer Bereiche, also mit einer Expansion kapitalistischer Aneignung.

Wir wollen diskutieren, wie eine Politik aussehen könnte, die angemessen auf die neoliberale Offensive reagiert. Wir verstehen eine solche Politik als Klassenpolitik, weil sie den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit immer wieder benennt.


Damit wird aber kein neues revolutionäres Subjekt konstruiert: Mit wem der antikapitalistische Kampf geführt werden kann, bleibt prinzipiell offen. Insofern ist das ein „Klassenkampf ohne Klasse“.
Da die kapitalistische Produktionsweise sich als spezifische Anordnung von Staat, Ökonomie, Ideologie und Geschlechterverhältnissen reproduziert, sind Klassenwidersprüche nicht nur in der Ökonomie wirksam, sondern auf allen Ebenen der Gesellschaft. Daher schlagen wir für eine „klassenpolitische Aneignung von unten“ mehrere Aktionsebenen vor:

  1. Sozialpolitischen Kampagnen von Bundesregierung und Arbeitgeberverbänden ("Illegal ist unsozial", "Sozialabbau schafft Arbeitsplätze"), Kampagnen für Opferbereitschaft und Ehrenamt etc. sind Teil eines „ideologischen Klassenkampfs von oben“. Hier gilt es, zu intervenieren und sich eine Sprache des Widerstands wieder anzueignen.
  2. Mit dem Ende des Wohlfahrtsstaats basiert die Integration der Menschen in die Gesellschaft immer weniger auf materiellen und stärker auf repressiven Maßnahmen. Über den Begriff des „autoritären Staates“ lassen sich die Diskussionen um Sicherheitspolitik und die Arbeitsmarktpolitik in Zusammenhang bringen und auf die aktuelle Verfasstheit von Kapitalismus beziehen.
  3. Die gesellschaftliche Akzeptanz und Verbreitung von prekären Arbeitsverhältnissen wird als Etablierung eines neuen Normalarbeitsverständnisses gesehen. Wir schlagen hier (exemplarische) Organisierungen vor.

Wir wollen durch Initiativen auf allen drei Ebenen eine klassenpolitische Intervention vorschlagen, die die Perspektive eröffnet, ideologische Denkformen, staatliche Vergesellschaftung und kapitalistische Formen der Aneignung zurückzudrängen.

Kritik & Praxis (Berlin)