AG im Rahmen des Forum I
Deregulierte Arbeit und deregulierte Migration - Stigmatisierung und Entrechtung im europäischen Kontext am Beispiel von Prostitutionsmigrantinnen.
Was sind die Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbehauptung und Gegenwehr der Betroffenen?
Die aktuelle Lage der Prostituierten, insbesondere der bundesweit auf rund 200.000 geschätzten Prostitutionsmigrantinnen ist – trotz (oder wegen?) des neuen Prostitutionsgesetzes - weiterhin deregulierte Beschäftigung in der rechtlichen Grauzone. Die fortgesetzte Stigmatisierung einer exponierten Berufsgruppe erfolgt durch die permanente Anwendung von Strafrecht, die Ersetzung von arbeitsrechtlichem Schutz durch strafrechtlichen Sonderschutz sorgt für die Aufrechterhaltung komplett deregulierter Beschäftigungsverhältnisse.
Am Beispiel der einschlägigen Strafrechtsparagrafen (Ausbeutung von Prostituierten, Menschenhandel und Zuhälterei) wird aufgezeigt, wie Opferschutz in eine Stigmatisierung der Betroffenen und in eine Kriminalisierung ihres gesellschaftlichen Umfeldes umschlägt. Unter dem Deckmantel des Schutzes sexueller Selbstbestimmung erfolgt neben der Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen eine Entmündigung der Betroffenen. So gilt vor wie nach dem neuen Prostitutionsgesetz eine Einwilligung von Prostitutionsmigrantinnen in ihre Migration als unerheblich für die Einstufung als Opfer.
Das Klischee der ausländischen Prostituierten als Opfer spielt seit Beginn der Anti-Frauenhandels-Kampagne der EU eine zentrale Rolle. Welchem Ziel diente der „Kampf gegen den Frauenhandel“ der EU seit der ersten Hälfte der 90er Jahre? Und warum wurde der Kampf gegen Menschenhandel anfangs gezielt beschränkt auf den Kampf gegen Frauenhandel? Es wird aufgezeigt, dass der Kampf gegen Frauenhandel instrumentalisiert wurde zur Bekämpfung von Einwanderung schlechthin, insbesondere der weiblichen Migration.
Daten, die die Massenhaftigkeit des Phänomens hätten unter Beweis stellen können. Am Beispiel einer IOM/Unicef-Studie wird deutlich, wie „Frauenhandel“ konstruiert wird, um einen Mangel an empirischen Daten zu kaschieren. Doch bestand nicht nur ein Mangel an empirischen Daten, sondern aus Sicht der Kampagnen-Aktivisten auch ein Mangel an vorzeigbaren Opfern (und Tätern) von Frauenhandel. Um dem abzuhelfen, sind europaweit NGOs aus dem Bereich der Frauenberatungsstellen in die EU-Anti-Frauenhandels-Kampagnen eingebunden worden. Es entwickelte sich eine schwunghafte, in jeder Hinsicht problematische Kooperation mit der Polizei. Insbesondere an der Haltung von NGOs gegenüber Polizeirazzien wird dokumentiert, wie sehr diese NGOs nicht nur konservative Denkmuster, sondern auch repressive Praktiken kritiklos hinnehmen und unterstützen.
Doch auch mit Hilfe der NGOs scheiterte die Opferrekrutierung. Ganz offensichtlich ließen sich Prostitutionsmigrantinnen mit dem Status der „Opferzeugin“ nicht ködern und instrumentalisieren. Ein Ausdruck von Widerstand?
Es wird auf den um die Jahrtausendwende erfolgten Paradigmenwandel in der EU hinsichtlich der Bekämpfung des Menschenhandels eingegangen. Dieser Paradigmenwandel macht noch einmal in besonderer Weise die Instrumentalisierung des Kampfs gegen den Frauenhandel sichtbar. In diesem Kontext ist den NGOs die Rolle von Vorfeld-Spitzelorganisationen der Polizei zwecks Knüpfung von Informantennetzen unter den Migrantinnen zugedacht. Auf welchem Level bewegt sich angesichts solcher Entwicklungen Widerstand auf Seiten der Betroffenen? Hierzu berichtet die Referentin mit Bezug auf Erfahrungen aus der Arbeit von Doña Carmen e.V., einer Organisation für die politischen und sozialen Rechte von Prostituierten, die von Juanita Henning mitbegründet worden ist.
Juanita Rosina Henning (Doña Carmen e.V. / Frankfurt/Main)
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