Recht auf Stadt

BUKO 36 Schwerpunkt

Der letzte Buko zum Thema Recht auf Stadt markierte eine Höhepunkt der Bewegung gegen die neoliberale Stadt. Medial ist diese Thema derzeit allpräsent und zumindest kosmetische Korrekturen werden seitens der Politik auf den Weg gebracht. Aber gleichzeitig fällt es inzwischen schwer, über eine enge Szene hinaus Protest zu mobilisieren und Vorschläge, die jenseits der kleinen Kurskorrekturen eine andere Stadt fordern, sind weder in der öffentlichen Debatte präsent noch umfangreich entwickelt. In dem 36. Buko geht es dementsprechend um zwei Dinge: Zuerst ist ein Rückblick notwendig, eine Analyse der Strategien der vergangenen Jahre. Aber noch wichtiger ist es, über den eigenen nationalen Tellerrand hinauszuschauen, denn eine radikale Zuspitzung der Lebensbedingungen vieler ist oft in stärkerem Maße in anderen europäischen Ländern, aber auch weltweit virulent. Diesen Blick, der Blick auf hoffnungsvolle Bewegungen in anderen Ländern, wollen wir auch dazu nutzen, neue nach vorne weisende Utopien und Strategien gemeinsam zu entwickeln.

Gegen die kapitalistische Stadt!

Die neoliberale Stadt ist nicht mehr bloß Standort einer industriellen Produktion, sondern die Stadt ist selbst Fabrik geworden einer postfordistischen Produktion - allem voran produktionsorientierter Dienstleistungen wie Rechts- und Finanzdienste, aber auch das Heer oft prekärer Kreativarbeiter. Dabei ist die neoliberale Stadt mehrfach gespalten: In den neuen Städtenetzwerken gibt es neben den Finanzmetropolen oder sonstiger Gewinner auch viele abgehängte, oft alt-industrielle Städte und Regionen. Aber auch die einzelne Stadt ist mehrfach gespalten. Neben den glitzernden Zentren einer globalen Produktion müssen sie auch geputzt, gepflegt und versorgt werden - ArbeiterInnen in persönlichen Dienstleistungen haben wenig Anteil an dem produziertem Reichtum und müssen insbesondere unter den steigenden Immobilienpreisen leiden.

Das kapitalistische Management dieser Stadtfabriken steht im globalen Wettbewerb um Investitionen, Großevents und die Kreativen sowie Reichen. Städte selbst sind zu Unternehmen geworden, die ihre Standortpolitik an der Überlebensfähigkeit in einer verschärften, weltweiten interurbanen Konkurrenz ausrichten. Das ermöglicht dem Kapital den urbanen Raum immer massiver seiner krisenhaften Verwertung zu unterwerfen. Privatisierung, infrastrukturelle Großprojekte, Investmentfonds als zentrale Akteure des Immobilienmarkts und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums gehören zu den Folgen. In der kapitalistischen Krise dient die gebaute Umwelt der Stadt als wichtiges Feld, überflüssiges Kapital zu absorbieren und damit die Krise abzufedern. Doch die Immobilienblasen platzen und die sozialen Widersprüche in den Städten spitzen sich zu. Von diesen Dynamiken sind Städte auf dem gesamten Globus betroffen.

Auf dem BUKO.36 soll nach Abhängigkeiten von Städten und ihren BewohnerInnen von globalen urbanen kapitalistischen Prozessen gefragt werden. Deshalb wollen wir diskutieren, wie der lokale Widerstand gegen global handelnde Akteure gestaltet werden kann. Eine weitere Fragestellung ist der Zusammenhang zwischen Veränderung auf der ökonomischen Ebene wie Arbeitsverhältnissen oder der Finanzialisierung des Immobilienkapitals und den Entwicklungen im urbanen Raum, denn die derzeitige politische Ökonomie der Stadt stellt den Kontext dar, in dem sich urbaner Widerstand bewegt, bzw. bewegen muss.

"Raus hier!" Marginalisierung, Verdrängung und Kontrolle in der Stadt

Unbezahlbare Mieten, Verdrängung aus den Innenstädten, Zwangsräumungen, wachsende Obdachlosigkeit und verschärfte städtische Ausgrenzung sind die soziale Realität der globalen urbanen Krise. Die Stadt wird zu einem immer stärker auch kleinräumig fragmentierten Raum. Der Widerspruch besteht nicht mehr nur zwischen boomenden Zentrum und den abgehängten Randgebieten, sondern zwischen einem Flickenteppich aus Slums, Banlieus, Armensiedlungen, aber auch abgeschotteten Inseln des Reichtums wie Gated Communities. Abgesichert wird diese Spaltung nicht mehr hauptsächlich durch einen Sozialstadt, sondern durch den stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse, durch Verdrängungen über Mietsteigerungen, aber auch politisch aktiv durch ein Sicherheitsregime urbaner Überwachung und Kontrolle - Quartiersmanagements, Debatten um verkommende Stadtteile, Gefahrengebiete, private Sicherheitsdienste, Trinkerverordnungen oder Gesetze gegen Sexarbeiter_innen und Odachlose. Auch die inneren Grenzräume der Festung Europa ziehen sich durch die Städte: Residenzpflicht, Isolation und Unterbringung in Lagern in den städtischen und ländlichen Randgebieten verweigern Geflüchteten den freien Zugang zur Stadt. Grade in zentralen, innerstädtischen Bereichen sind für Menschen, die vermeintlich nicht in das Bild einer deutschen Mehrheitsgesellschaft passen, willkürliche Kontrollen und Festnahmen Alltag. In Leipzig und Umland sind zurzeit rassistische Konflikte und Auseinandersetzungen zu beobachten. In den Randgebieten der Stadt, formiert sich Fremdenhass gegen Ausgegrenzte. Dieser gipfelt aktuell z.B. in den Mobilisierungen gegen eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten und dem Bau einer Moschee.
Wir wollen danach fragen, wie wir die Kämpfe der Marginalisierten unterstützen können, bzw. ihre Marginalisierung verhindern können. Welche Erfahrungen gibt es für Bündnisse zwischen Menschen, die ganz unterschiedlich vom Recht auf Stadt ausgeschlossen sind.

Für eine feministische Stadtutopie!

Die Frage nach einer feministischen Stadtutopie nimmt in der aktuellen Diskussion um die Stadt nur eine untergeordnete Position ein. Ein möglicher Ansatzpunkt ist die Rolle der Reproduktions- und Carearbeit, die vornehmlich in der Stadt und besonders im urbanen Wohnraum geleistet wird. Gerade vor dem Hintergrund, dass Städte vermehrt zum Ort der Produktion werden, sollte diese Dimension der Urbanisierung thematisiert werden. Der BUKO.36 soll Raum dafür geben zu diskutieren, inwieweit ein Recht auf (die) Stadt auch eine Überwindung von Geschlechterhierarchien darstellt und was praktische Ansätze in diese Richtung sind.

"Wir bleiben alle!" Proteste in der und um die Stadt

Gegen diese städtischen Grenzen und Ausschlüsse regt sich Widerstand. In vielen Städten rund um den Globus werden Menschen aktiv und nehmen sich das Recht auf die Stadt. Dies ist sicherlich auch Ausdruck davon, dass sich die soziale Frage aktuell vermehrt als Raumfrage stellt. Auch wenn dieser urbane Protest unter dem mittlerweile sehr populär gewordenen Slogan „Recht auf Stadt“ zusammengefasst wird, ist die Bandbreite der Proteste sehr weit gefächert. Dies mag auch ein Grund sein, warum die städtischen Proteste nach einigen sehr erfolgreichen Jahren momentan nicht mehr die gleiche Dynamik entwickeln und an Zugkraft verloren haben. Wir wollen auf dem BUKO.36 nach Verknüpfungspunkten der urbanen sozialen Bewegungen suchen, um über den Slogan hinaus eine Bewegung zu formen. Wir wollen uns der Frage stellen, wie Marginalisierte wirklich in die Bewegungen mit einbezogen werden können und nicht nur als stumme Illustration der derzeitigen urbanen Krise dienen. Hier sind z.B. das Community Organizing aus den USA, aber auch der Protest von Kotti & Co in Berlin wichtige Ansätze, in denen Marginalisierte die Möglichkeit ergreifen zu sprechen und für ihre Interessen einzutreten.

Für eine Berechtigung auf die Stadt - eine radikale Gesellschaftskritik!

Den Slogan "Recht auf Stadt" teilen viele urbane soziale Bewegungen, doch wie wird er gefüllt? Das Spektrum reicht von einem tatsächlichen Rechtsanspruch, wie beispielsweise in der brasilianischen Verfassung, bis hin zu einer direkten kämpferische Aneignung des urbanen Alltags. Die Perspektiven reichen vom Ruf nach Regulation der neoliberalen Stadt durch Mietobergrenzen, Sozialwohnungsbau oder demokratische Partizipationsmodelle bis hin zur Vergesellschaftung des Wohnraums und der Infrastruktur, d.h. dem Bruch mit der kapitalistischen Eigentumsordnung. Hausprojekte, in denen versucht wird anders und kollektiv zu wohnen und Urban Commons, Projekte solidarischer Ökonomie, übersetzen städtische Utopien in den Alltag und laufen gleichzeitig Gefahr, neoliberal eingehegt zu werden oder als kleine Nische in subkultureller Selbstbezüglichkeit zu verschwinden.
Auf dem BUKO.36 wollen wir ein radikales und vielfältiges "Recht auf Stadt" entwerfen, das sowohl auf die postkapitalistische Stadt orientiert, als auch konkrete Handlungsperspektiven aufmacht