Nachruf Jürgen Weber

04.08.2024, Berlin

Der langjährige BUKO-Aktivist Jürgen Weber ist am 23.06.2024 verstorben.

Am 23. Juni 2024 ist Jürgen Weber kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag in Berlin, seinem Wohnort in den letzten gut 15 Jahren, nach einer kurzen, schweren Krankheit gestorben.

Er war viele Jahre in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) aktiv. Die Liste dessen, was er ehrenamtlich in, mit und für die BUKO getan hat, ist beindruckend lang.

Er bereitete mehrere BUKO-Kongresse mit vor. Er schrieb eine Zeit lang den Newsletter der BUKO. Er war in verschiedenen Gremien der BUKO – wie dem Sprecher*innenkreis oder der Strategiegruppe – aktiv. Er gestaltete mehrere BUKO Seminare mit, darunter eines im dem selbstverwalteten Seminarhaus Salecina im Engadin. Er organisierte eine politische Bildungsreise nach Indien gemeinsam mit dem  Internationale Arbeitskreis (IAK). Er nahm an vielen Ratschlägen und noch mehr Telefonkonferenzen teil und organisierte sie häufig genug selber.

Jürgen war Internationalist, ein durch und durch politischer Mensch, der an die Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse zum Besseren glaubte. Einer, der eine warme Idee und Praxis von Solidarität hatte und an Seiten der Marginalisierten stand, in Deutschland wie international. Jürgen war undogmatisch, belesen, im besten Sinne neugierig - interessiert daran, Neues zu lernen. Er sah die politischen und gesellschaftlichen Strukturen hinter den kleinsten Situationen des Alltags und hatte die Analysefähigkeit und die Sprache, um sie theoretisch informiert zu beschreiben; noch aus dem Krankenhaus schickte er kluge Beobachtungen zur Organisation des Gesundheitswesens an Freund*innen. Als jüngerer Mensch konnte man ihn zur Praxis und Diskussion der Linken in Deutschland in der Vergangenheit oder der Geschichte und den Strukturen der BUKO befragen, und er gab geduldig und wohl informiert Auskunft.

Er übernahm und erledigte verbindlich Aufgaben, die aus seiner Sicht erledigt werden mussten, egal wie unangenehm sie sein mochten. Bis zu seinem Tod war er sehr gradlinig, seinen Prinzipien treu. Sein Leben war in vieler Hinsicht kollektiv, vom Aktivsein in Gruppen und Initiativen geprägt, viele Abende und Wochenenden Plena oder anderen politischen Aktivitäten gewidmet. Für viele Gruppen und Organisationen, in denen er aktiv war, war er eine tragende Säule. 

Politisch aktiv zu sein, macht nicht immer nur Freude. Mit ihm zusammen war es schöner. Jürgen konnte zuhören, war empathisch, sensibel, durchlässig, ging – auch bei Konflikten – ins Gespräch. Dabei fragte er nie nach viel für sich, es ging ihm nicht um Geld oder Anerkennung.

In den 1980er Jahren reiste er das erst Mal nach Indien und war seitdem – auch über längere Aufenthalte dort – mit der Region Südasien und insbesondere Indien sehr verbunden. Als freier Publizist schrieb er – auch – zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dort, unter anderem für die taz, das iz3w, das Neue Deutschland oder die Zeitschrift Analyse und Kritik. Immer wieder reiste er in die Region und hatte Freund*innen und regelmäßige Kontakte zu Aktivist*innen dort. Unter anderem war er Autor und Mit-Mitherausgeber des Buchs "SPEAK UP!" - Sozialer Aufbruch und Widerstand in Indien", das Texte von Aktivist_innen in Indien auf Deutsch zugänglich macht. Zuletzt arbeitete er – gemeinsam mit anderen – daran, Texte und Artikel zu politischen Entwicklungen und sozialen Bewegungen in Südasien ins Deutsche zu übersetzen.

Jürgens politische Engagement ging aber weit über die BUKO hinaus. Über die Jahre hinweg war er in vielen verschiedenen Initiativen, Gruppen und Organisationen tätig. Zusammen mit anderen besetzte er Häuser, um Wohnraum zu schaffen, setzte sich für eine sinnvolle Verwendung des Dragoner-Areals in Berlin ein, organisierte sich gemeinsam mit Obdachlosen, war in antirassistischen Initiativen aktiv, ging auf Demos, war im Vorstand der Aktion Solidarische Welt. Man wusste manchmal nicht, wie Jürgen das alles schaffte.

Bei allem politischen Engagement schätzte Jürgen auch das Schöne im Leben. Er sang in einem linken Chor, ging ins Theater, ins Kino, zu Konzerten, traf sich mit Freund*innen, kochte, las, reiste, machte Sport. Ging man mit Jürgen auf eine linke Demonstration in Berlin, so kannte er dort unweigerlich Leute und sprach mit diesem und jener.

Er hinterlässt eine Partnerin, Geschwister und viele Freund*innen und Genoss*innen in mehreren Ländern und auf mehr als einem Kontinent.

Er fehlt uns. Er wird in der Welt fehlen.

 

 

 

Hier nur einige von Jürgens Texten:

 Sinkender Real­lohn und steigende Re­pression. Sri Lanka nach dem Aufstand im letzten Jahr unter: https://www.iz3w.org/artikel/sri-lanka-proteste-repression im iz3w-Heft 398 vom 13.09.2023

Umverteilung ist out. Indiens öffentliches System zur Verteilung von Lebensmitteln darbt, iz3w 382 | Januar / Februar 2021

Leben für Hindutva. Der indische Hindu-Nationalismus als Gewaltprojekt, iz3w 379 | Juli / August 2020, gemeinsam mit Christa Wichterich

10 Jahre Tsunami I: Land unter Auf die zerstörerische Flutwelle folgten politische Kämpfe um die Küsten, iz3w 346 | Januar / Februar 2015

Inoffizieller Ausnahmezustand. In Indien finden soziale und politische Auseinandersetzungen in einem zunehmend repressiven Klima statt, unter: https://archiv.akweb.de/ak_s/ak577/09.htm, AK vom 16.11.2012

Kioto-Protokoll radikal ändern", Interview mit Sudha Reddyhttps://taz.de/Sudha-Reddy-ueber-den-Klimawandel/!5162863/,  taz vom 18. Mai 2009, gemeinsam mit Juliane Schuhmacher,

Flüchtling in Deutschland: Böser Zauber der Bürokraten, https://taz.de/!5173881/, taz vom 23.10.2008, gemeinsam mit Beate Selder

Zwangsherrschaft der Roten Khmer: Sexuelle Gewalt vor Gericht, https://taz.de/!5174194/, taz vom 17.10.2008

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