27. Bundeskongress der Bundeskoordination Internationalismus
Das Ende der Bescheidenheit Neoliberalismus, Alltag, Widerstand
20.-23. Mai 2004 an der Uni in Kassel
Seit einigen Jahren gewinnen Unmut und Protest gegen die herrschenden Verhältnisse sowie die Entwicklung von Alternativen an Bedeutung und äußert sich in großen Demonstrationen von Seattle und Genua oder in Europäischen bzw. Weltsozialforen. Daneben gibt es andere soziale Bewegungen wie die der Migration, die mit ihren Füßen tagtäglich gegen die herrschenden Verhältnisse abstimmt, auf der Suche nach einem guten Leben.
Weiterhin werden neoliberale und neoimperiale Politiken - und notfalls mit Gewalt - durchgesetzt. Wurden Privatisierungen, Abbau von sozialen Sicherungssystemen und eine angebotsorientierte, kapitalfreundliche Politik bisher eher durch die Strukturanpassungsprogramme im Süden verwirklicht, hat neoliberaler Klassenkampf "von oben" längst Europa erreicht. Im Zuge der EU-Osterweiterung werden auch die neuen Beitrittsländer den markt- und kapitalfreundlichen Regeln unterworfen. Weltweit wird damit Menschen der Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie etwa Wasser, Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie das existentielle Recht der Mobilität und Flucht verweigert. Diese Politik wird zwar von Abwehrkämpfen begleitet, doch der Neoliberalismus hat sich in vielen Köpfen festgesetzt.
Emanzipative Antworten haben sich lange Zeit als schwierig erwiesen, was sich derzeit zu ändern scheint. Daher schlagen wir vor, die Perspektive darauf zu richten, wo und wie herrschende Entwicklungen widersprüchlich sind und infrage gestellt werden.
Zudem bestehen viele Alternativen. Bereits vor "Seattle" fanden auf unterschiedlichsten Ebenen Prozesse gegen die Ökonomisierung sozialen Lebens statt. Menschen versuchen, sich das, was sie zum Leben brauchen, selbst zu organisieren, ohne auf die Hilfe von staatlichen Instanzen zu warten. Das reicht von den Versuchen, eigenständige Netzwerke zu entwickeln, um die soziale Reproduktion zu sichern, bis zur Migration als Bewegung, die sich auch durch die Festung Europa nicht stoppen lässt; vom kollektiven Klauen im Supermarkt über die gemeinsame Nutzung von Softwareprodukten und neuen Ansätzen, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Arbeitszwang zur Wehr zu setzen, bis zu Fabrikbesetzungen; vom Widerstand gegen Segregation und zugeschriebene kulturelle und Geschlechtsidentitäten zu hybriden Selbstverortungen. Mit diesen Erfahrungen können herkömmliche Politikverständnisse hinterfragt und neue Perspektiven eröffnet werden. Dafür will der BUKO eine Art Bestandsaufnahme leisten und die politisierenden und orientierenden Potenziale verschiedener Praxen ausloten. Ob der Begriff der Aneignung als gemeinsamer Fluchtpunkt taugt und zur Entwicklung weiterer Perspektiven reicht, muss sich dabei erst noch zeigen. Wichtig ist uns dabei, überhaupt gemeinsame Bezüge zu suchen - ohne damit Differenzen zu negieren. Es wird Zeit, aus der Defensive herauszukommen und nicht darauf zu vertrauen, mit Appellen an die herrschenden politischen und ökonomischen Kräfte diese zu Einsicht und Umsteuern zu bewegen.
Auf dem diesjährigen BUKO soll zunächst die Frage aufgeworfen werden, wo eigentlich das neoliberal-militaristische Projekt des globalisierten Kapitalismus brüchig wird - und wo praktische Kritik eher zur Modernisierung von Herrschaft zu verkommen droht, ohne die gesellschaftsverändernden Potenziale auszuschöpfen.
Anhand dreier Themenstränge sollen, neben vielen anderen Informations- und Diskussionsforen, Erfahrungen und Möglichkeiten von symbolischer und materieller Aneignung diskutiert werden:
Arbeit und soziale Reproduktion,
Privatisierung
Soziale Rechte und Recht auf Legalisierung
Ein internationalistischer Austausch über diese existentiellen Lebens- und Reproduktionsbereiche kann dabei nicht nur zu einem neuen Verständnis eigener Verwicklungen in das kapitalistische System führen. Er bietet die Möglichkeit, sich darüber auszutauschen, welche Formen alternativer Vergesellschaftung schon längst praktiziert werden, egal ob öffentlich expliziert oder nicht, wo Erfahrungen anschlussfähig für die politische Linke sind und welche Praxen wünschenswert wären. Wir plädieren für ein neues Selbstverständnis unterschiedlicher Kämpfe und Handlungsmöglichkeiten, um nicht mehr nur rein defensiv zu handeln (was natürlich weiterhin wichtig bleibt). Während Regierungen weltweit dazu auffordern, den Gürtel enger zu schnallen sowie auf soziale Rechte zu verzichten, rufen wir die internationalistische Linke zum Ende der Bescheidenheit auf.
Wir laden politische Gruppen zur ideellen und finanziellen Unterstützung (bitte bis 1. März mitteilen) und natürlich zur Teilnahme ein.